Blind, entmachtet, allein auf der Heide

Schleichender Niedergang: Thomas Langhoff und das Deutsche Theater in Berlin zogen eine ernüchternde Bilanz

Es sollte die „letzte Pressekonferenz meines Lebens“ sein – fast so, als gäbe es für Thomas Langhoff kein Leben nach dem Deutschen Theater. Im April will er sich mit Shakespeares „König Lear“ verabschieden. „Ein blinder, entmachteter König, allein auf der Heide“, dem sei nichts hinzuzufügen, befand Langhoff lakonisch. Saisonbilanz und Ausblick auf die letzte Langhoff-Spielzeit, wobei wegen der desaströsen Finanzlage des Theaters viele der angekündigten Projekte noch gar nicht gesichert sind.

Aber wenigstens bei George Taboris finsterem Schwank „Jubiläum“, versprach Thomas Langhoff, würde die Dekoration aus „Vorhandenem genommen, von zu Hause mitgebracht und notfalls selbst gebastelt“.

Ansonsten erhellte die Idee, das Deutsche Theater in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln, als letzte Vision den Horizont des ausgebluteten Theaters. Die anwesenden Journalisten zeigten sich ausgesprochen angeregt, auch wenn es hieß, Theaterkritiker könnten keine Theateraktien erwerben. Aber die können wenigstens in Zukunft das Theater mieten und selbst inszenieren; ein Service, den das Deutsche Theater in Zukunft bietet: „Mieten Sie sich ein Theater!“, preist eine der Pressemappe beiliegende Broschüre das Theater als Veranstaltungsort an.

Angesicht dieser Schlussverkaufsstimmung war es schwer vorstellbar, dass dieses Theater einmal die Urzelle vieler Berliner Theaterwunder der letzten zehn Jahre war. Frank Castorf inszenierte hier neben Heiner Müller und Alexander Lang. Zweimal wählte Theaterheute das DT zum Theater des Jahres. In der Baracke begann ein paar Jahre später Thomas Ostermeiers Aufstieg zum Theaterstar. Noch mal einen jungen Satelliten in die Umlaufbahn der Feuilletons schießen wollte Thomas Langhoff, als der damalige Kultursenator Radunski ihn selbst schon abgeschossen hatte. Stefan Otteni und Martin Baucks sollten die Kammerspiele auffrischen. Aber nach drei Monaten war das Konzept gestorben. Otteni und Baucks fanden weder im Ensemble noch in der Öffentlichkeit Akzeptanz. Sie selber waren mit der Aufgabe menschlich überfordert und das Theater zu kraftlos, das Ruder noch korrigierend herumzureißen.

Es war fast unheimlich, wie sang- und klanglos das Projekt „Kammer“ unterging. Unheimlich deshalb, weil zu befürchten ist, dass dies nur ein Anfang war. Vieles war ja so schrecklich neu und jung zu Jahresbeginn, und sieht nach kurzer Zeit schon so alt aus. Peymann denkt man, der war schon immer da und ist am BE in Ehren ergraut. Die Schaubühne hat keine einzige Erwartung erfüllt. Noch schützt eine starke Aura aus Baracken-Tagen Thomas Ostermeiers Team. Aber die ist irgendwann verbraucht. Passiert es auch hier, dass plötzlich einer die Entscheidung fällt, die Marke „Ostermeier“ verkauft sich nicht wie gewünscht und wird vom Markt genommen?

Die Kammerspiele waren nicht so schlecht wie ihr Ruf. Es gab ein paar peinliche Ausrutscher, aber Ottenis Schwärmer, die waren nicht nur aus dem Geist von Robert Musil, sondern auch Michel Houellebecqs. Und der Ansatz, dem Gefühl, das ja immer auch ein Instrument bürgerlicher Selbstvergewisserung gewesen ist, mal ganz auf der Höhe der Zeit zu begegnen, war spannend. Man hätte ihn gerne wachsen sehen. Nun ist davon nur das wunderbare „multiple“ des Künstlers Micha Brendel übrig geblieben – zu den „Schwärmern“ entstanden, als Teil des Projektes „KunstKammer“, das statt üppigem Programmheft zu jeder Inszenierung ein Kunstwerk präsentieren wollte: Ein schrumpeliges, kleines Herz mit großen Hautklappen dran. Aufgespießt und im durchsichtigen Plastikkarton – das bürgerlichste aller Organe als Präparat für den Bücherschrank. ESTHER SLEVOGT