In trockenen Tüchern

Der diskrete Charme der Volksmusik: der Filmmusik-Komponist Goran Bregovic präsentierte in Berlin seine persönliche Balkan-Sinfonie - mit orchestralem Bombast, aber ohne populistische Anbiederung

In Süd- und Osteuropa ist Bregovic ein Star - in Deutschland noch ein Geheimtipp

von DANIEL BAX

Das Gewitter kam dann doch vom Band. Der akustische Regenschauer bildete den Einstieg zu einem Stück aus „Time of the Gypsies“ - jenem Film, durch den der Musiker Goran Bregovic weithin bekannt wurde, und den auch alle gesehen haben dürften, die sich am Mittwoch abend in der ausverkauften Freilichtbühne Weissensee drängten. Vor Bregovic‘ erstem Auftritt in Berlin hatte es noch kurze Regenschauer gesetzt, und dicke Wolken hingen den ganzen Abend über dem Ort. Trotzdem endete die Premiere, wenn man so will, in trockenen Tüchern - in jeder Hinsicht.

Kein Regen floss, aber auch kein Schweiss - denn obschon Goran Bregovic das Publikum im Handumdrehen zum Tanzen hätte bringen können, bremste er die Begeisterung bewusst ab. Das Tempo wechselte ständig, und auf schnelle Momente folgten fast umgehend leisere Stellen - die Pogotänzer, die sich vor der Bühne warmgemacht hatten, liefen jedenfalls ins Leere. Dabei bedient sich Goran Bregovic für seine Kompositionen ausgiebig bei den Volksmusiken des Balkans, deren anarchisches Potential berüchtigt ist - schliesslich streckt sich eine ordentliche Hochzeit in einem durchschnittlichen Balkan-Dorf über mehrere Tage, mit Alkohol in Strömen und Blaskapellenbeschallung die ganze Nacht. Doch Bregovic‘ Ansatz ist sinfonisch, nicht volkstümlich, mehr Carl Orff als Folklorestadl. Er zeigt, dass es mit Pauken und Posaunen auch anders geht: aus traditionellem Material zimmerte er - zunächst für Filme, inzwischen für die Bühne - seine ganz eigene Balkan-Sinfonie, deren Aufführungsritus er mit den Jahren verfeinert hat.

Seit einiger Zeit schon tingelt er durch Europa mit einem Programm, das überwiegend aus solchen Stücken besteht, die aus Filmen wie „Arizona Dream“ und „Underground“ stammen, gedreht von Emir Kusturica. Lange war Bregovic mit dem Regisseur befreundet, doch nach den Dreharbeiten zu „Underground“ trennten sich die Wege der beiden Bosnier. Bregovic spielt den Streit herunter: „Wir haben zehn Jahre zusammen gearbeitet, wo findet man so etwas heute noch?“ Dass Emir Kusturica inzwischen mit eigener Band selbst Bregovic-ähnliche Musik macht, nimmt dieser nicht als Kampfansage, sondern mit mildem Sarkasmus: „Es ist doch schön, wenn jemand in seinem Alter noch Gitarre lernt“.

Konkurrenz muss Bregovic tatsächlich keine fürchten: in Süd- und Osteuropa hat er es mit seiner Musik zu einer beachtlichen Anhängerschaft gebracht, gerade unter Kollegen: die türkische Pop-Sängerin Sezen Aksu hat ein komplettes Album mit Bregovic-Stücken eingespielt, ebenso der griechische Rockstar Giorgios Dalares und die polnische Sängerin Kayah. In Frankreich, Griechenland, Polen oder Italien tritt Bregovic schon mal vor ein paar tausend Zuhörern auf, und dann auch gerne mit einem grossem Aufgebot von bis zu 120 Musikern. Nur in Deutschland ist er ein Geheimtipp. Sein Berliner Auftritt zieht ein entsprechend heterogenes Publikum - junge Jugo-Yuppies mit Handys, Filmfans in Jeansjacken und gesetzte Ost-Intellektuelle, deren Sensibilität für Slawisches vielleicht das letzte ist, was in der Ex-DDR vom Ostblock-Erbe geblieben ist. Auch wenn Bregovic im Konzertsaal sicher besser aufgehoben wäre als im Bier- und Bratwurstdunst der Freilichtbühne Weissensee, so gab deren kleine Arena doch einen passenden Rahmen ab, so weit vom Stadtzentrum entfernt wie die Musik vom MTV-Mainstream. Es habe lange gedauert, seine deutsche Plattenfirma davon zu überzeugen, ihn hierzulande zu untersützen, meint Bregovic - darum erst jetzt seine erste Tournee, mit einem für seine Verhältnisse kleinen Ensemble.

Schon der Anfang ist effektvoll: erst nach und nach nehmen die Musiker ihre Plätze ein, bis nach einer halben Stunde auf einmal gut 40 Leute die Bühne bevölkern: mehr als ein Dutzend Streicher aus dem polnischen Posen, eine 7köpfige Balkan-Blaskapelle und ein 14köpfiger serbisch-orthodoxer Chor aus Belgrad, dazu drei bulgarische Solistinnen aus Sofia, in Trachten gezwängt. In der ersten Reihe, im Rampenlicht, sitzen Goran Bregovic und sein glatzköpfiger Kompagnon Ognjan Radivojevic, der als Orchesterchef der heimliche Star des Abends ist.

Bregovic selbst, im weißen Anzug, dirigiert nur gelegentlich, gibt Handzeichen und macht karge Ansagen in Englisch und serbokroatisch. Auf populistische Anbiederung ist er dabei nicht aus - er habe „schon genug Applaus“ gehabt, behauptet er, eine Anspielung auf seine erste Karriere als Rockstar im Jugoslawien der 80er Jahre, mit der Band „Bijelo Dugme“. Sichere Hits wie den zynischen Gassenhauer „Kalashnikov“ verpulvert er gleich zu Beginn, „Nicht klatschen“ bittet er zum fast geflüsterten „In the Deadcar“ aus „Arizona Dream“, das im Original von Iggy Pop gesungen wird. Gelegentlich türmt sich seine Filmmusik zu opulentem Bombast, aber Bregovic nimmt sie auch nicht zu ernst: immer wieder sticht das charakteristische Kieksen der Bulgarinnen heraus wie ein lustiger Schluckauf. Höhepunkt des Programms ist, voraussehbar, das eindrucksvolle „Ederlezi“, das einem noch in der routiniertesten Version kleine Nackenschauer über den Rücken zu jagen vermag. Nach guten zwei Stunden ist Schluss, und gäbe es nicht die Auflagen des Umweltamts, dann wäre die Zugabe sicher noch ausgedehnter ausgefallen. So bleibt es bei ein paar Flötentönen zum Abschied.