Der Tod auf der Müllhalde

In Manila sind beim Einsturz einer Müllhalde 150 Menschen ums Leben gekommen. Für sie war das Elendsviertel ein „Gelobtes Land“

taz: Warum wohnen Menschen auf einer Müllhalde wie in Payatas?

Flora Asiddao-Santos: Als Manilas ursprüngliche Müllhalde Smokey Mountain noch in Betrieb war, wohnten nur wenige Leute in dem Stadtviertel Payatas. Als dort die Mülldeponie eingerichtet und Smokey Mountain geschlossen wurde, zogen die Müllsammler um. Auch viele arme Leute aus der Umgebung bauten sich Hütten am Rand der neuen Müllkippe, meist Menschen ohne formale Bildung und ohne Chancen auf reguläre Arbeit. Die meisten Müllsammler sind Frauen und Kinder. Payatas bot ihnen die Chance, einen Lebensunterhalt zu verdienen und zugleich „umsonst“ wohnen zu können. Deshalb gaben die dortigen Bewohner dem Viertel den Namen „Gelobtes Land“.

Was wurde versucht, um die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern?

Die Regierung hat den Plan „Payatas 2000“ aufgestellt. Der sieht die Umwandlung in ein Wohngebiet vor für Beamte aus den angrenzenden Regierungsgebäuden. Das Parlament ist dort, und weitere Regierungsgebäude sollen entstehen. Die Mülldeponie soll geschlossen werden, ihre Bewohner müssten umziehen. Dagegen wehren sie sich, weil sie dabei ihren Lebensunterhalt verlieren würden. Die Armut zieht sie wie ein Magnet an diesen Ort, der für die Öffentlichkeit nur dreckig und stinkig ist, aber in ihren Augen so etwas wie eine Goldmine. NGOs und einige Kirchenleute unterstützen die Müllsammler mit Programmen wie Kinderkrippen, Ausbildungsprogrammen und einkommen schaffenden Maßnahmen. Aber weil die Mittel dafür so begrenzt sind, bleiben die Wirkungen bescheiden.

Was sollte getan werden?

Unsere Organisation Sanlakas unterstützt Pläne der Regierung für ein alternatives Müllentsorgungskonzept. Aber wir wollen eine Beteiligung und Einbeziehung der Betroffenen, so dass diese von vornherein an allen Entscheidungsprozesse beteiligt sind, also auch in Fragen neuer Wohn- und Einkommensmöglichkeiten. Ziel muss sein, möglichst wenig Menschen umzusiedeln und ihnen möglichst viel zu helfen. Wir sind für den Bau von Wohungen vor Ort. Eine umfassende Lösung bedarf der Beteiligung der Regierung, der Wirtschaft, der Nichtregierungsorganisationen und der Kirche. Wir haben kürzlich in der Nähe von Payatas einen Sieg errungen. Dort hatte der private Grundstückeigentümter die Hütten von 300 Familien platt walzen lassen. Doch durch wochenlangen Druck auf die Regierung konnten wir erreichen, dass sie das Land aufkaufte und zu erträglichen Konditionen an die Bewohner weitergab.

Sie haben vergangene Woche an der internationalen Städtebaukonferenz „Urban 21“ in Berlin teilgenommen. Bieten solche Konferenzen geeignete Lösungen an?

Urban 21 bot Entwicklungsmodelle für hoch entwickelte und sehr demokratische Gesellschaften. Zwar wurde dort die Armut in Entwicklungsländern und ihren Städten anerkannt, aber wichtige Fragen wie der Ausschluss von Basisorganisationen von Regierungsentscheidungen, die weit verbreitete Korruption, die Rolle internationaler Konzerne und die sich durch Globalisierung und Verschuldung ausbreitende Armut in der Dritten Welt wurden nicht thematisiert. Es wurden einige Entwicklungsfragen erwähnt wie auch einige Prinzipien und sogar Empfehlungen ausgesprochen, aber ich bezweifle, dass sich davon etwas in den Philippinen umsetzen lässt. Denn die Statements der Konferenz sind sehr allgemein und nicht bindend, und unsere Demokratie ist in einem schlechten Zustand. Die philippinische Regierung ist berüchtigt dafür, Slumsiedlungen zu zerstören und die Menschen in Gebiete ohne soziale Einrichtungen und ohne Verdientsmöglichkeiten umzusiedeln. Vor kurzem wurden Armutsviertel zerstört, um eine Hochbahn zu bauen, bei der die sozialen Kosten nicht berücksichtigt wurden. Auch wurde eine „Global City“ in Manilas Bankviertel Makati gebaut, wo 4.000 arme Familien durch Hochhäuser, Parks und Einkaufszentren verdrängt wurden. INTERVIEW: SVEN HANSEN