Therapie ist in Afrika ein Privileg

In die Debatte um den Zugang zu billigeren Medikamenten ist Bewegung gekommen: Der Druck auf die Pharmaindustrie beginnt Wirkung zu zeigen

aus Durban KORDULA DOERFLER

Nkosi Johnson hat seinen Vater nie gekannt. Auch seine Mutter ist seit Jahren tot. „Ich weiß, dass sie im Himmel ist“, sagt Nkosi mit zitternder Stimme. Die Mutter starb an Aids. Nkosi hat das todbringende Virus ebenfalls im Körper und wurde deshalb in seinem Dorf in der südafrikanischen Provinz KwaZulu/Natal geächtet. Erst seine Pflegemutter in Johannesburg konnte durchsetzen, dass er wenigstens wieder die Schule besuchen durfte. Die Geschichte des Elfjährigen hat am Sonntag auf der 13. Welt-Aids-Konferenz in Durban tausende von Besuchern zu Tränen gerührt. Nur: Hoffnung gibt es für ihn nicht.

Nkosi Johnson ist eines von Millionen von HIV-infizierten afrikanischen Kindern, die sich die teure Behandlung mit den in Europa und den USA gängigen antiretroviralen Medikamenten nie werden leisten können. Im Jahr 2010, so die Prognose, wird es in Afrika etwa 30 Millionen Aids-Waisen wie ihn geben.

„Ich stehe hier vor Ihnen, weil ich für mein Leben bezahlen kann“, sagte einen Tag später Edwin Cameron, ebenfalls Südafrikaner. Doch der weiße Verfassungsrichter, bekennender Schwuler und HIV-positiv, gehört zu den Privilegierten. „Meine Anwesenheit zeigt die Ungerechtigkeit von Aids in Afrika. Auf einem Kontinent, in dem 290 Millionen Menschen täglich mit weniger als einem Dollar auskommen müssen, kann ich mir die monatlichen Behandlungskosten von rund 400 Dollar leisten.“ Zu Beginn der Konferenz lenkte er damit die Aufmerksamkeit auf ein Thema, das deren Verlauf beherrschte: die Notwendigkeit, der Dritten Welt und insbesondere Afrika billigere Medikamente zur Verfügung zu stellen.

Nicht nur Aktivisten aus aller Welt, sondern auch die zahlreichen afrikanischen Delegierten forderten, die überhöhten Preise für die „Aidscocktails“ zu senken. Am Mittwoch besetzten Aktivisten auch einige Stände der Pharmaindustrie in einer Ausstellungshalle. „Gier tötet“ warfen Mitglieder der Gruppe Act Up den Konzernen Boehringer Ingelheim und Merck Sharp & Dohme vor. Die Aktion traf damit ausgerechnet Konzerne, die schon im Mai Bereitschaft signalisiert hatten, mit den Preisen um bis zu 80 Prozent herunterzugehen.

Die enorme Kluft zwischen Arm und Reich wurde in Durban überdeutlich – auch die kulturelle. Hin- und hergerissen zwischen Faszination und Abscheu betrachteten etwa afrikanische Besucher Poster von nackten Schwulen im so genannten „European Boulevard“. Nebenan, im „African Trail“, saßen dafür Familienmütter, die verzweifelt Aids-Aufklärung betreiben und auf ein Wunder hoffen. Was es heißt, in einem afrikanischen Dorf gegen die Seuche zu kämpfen, konnten sich die meisten Delegierten aus den Großstädten der Ersten Welt, die von Afrika nichts anderes als das klimatisierte Kongresszentrum sahen, wiederum kaum vorstellen.

Doch immerhin: In die Debatte um Zugang zu billigeren Medikamenten ist Bewegung gekommen. Am weitesten wagt sich jetzt Boehringer Ingelheim vor, das fünf Jahre lang das Medikament Viramune (Wirkstoff Nevirapin) kostenlos zur Verfügung stellt. Eine einzige Dosis jeweils für Mutter und Kind reduziert die Wahrscheinlichkeit der Übertragung des HIV-Virus von Schwangeren auf ihre ungeborenen Kinder deutlich. Kosten für eine Behandlung zu Marktbedingungen: 8 Mark. „Wir müssen irgendwo anfangen“, begründete Carl-Heinz Pommer, Produktmanager des Unternehmens, diesen Schritt.

Bei den Gesundheitsministern des südlichen Afrikas, die weltweit die höchsten Infektionsraten haben, stieß das Angebot jedoch nicht auf ungeteilte Begeisterung. Sie seien weder vorher unterrichtet worden noch wüssten sie, ob Bedingungen daran geknüpft seien, erklärten sie fast beleidigt. Pommer will diese Argumente nicht gelten lassen. Man könne nicht jedes Land einzeln vorher befragen. „Und ob eine Regierung unser Angebot wahrnehmen will, muss sie selbst entscheiden.“

Aus sieben afrikanischen Staaten habe es in Durban bereits Anfragen gegeben, so Pommer. In etwa drei Monaten, so hofft er, könne in den ersten Ländern mit der Behandlung begonnen werden. Die Bedingungen des Unternehmens: Die Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) müssen eingehalten werden, die jeweilige Regierung muss ihr Interesse äußern und Berechnungen vorlegen, wie viele Packungen Viramune sie vorläufig braucht. Wunder, so Pommer, dürfe man nicht erwarten. Viramune kann nur in Krankenhäusern und unter ärztlicher Betreuung verabreicht werden – das heißt, dass zunächst vor allem Schwangere in den Städten behandelt werden könnten.

Ebenfalls Aufschwung hat in Durban die Diskussion um die Entwicklung eines Impfstoffes bekommen. Der US-Amerikaner Seth Berkley, Vorsitzender der vor vier Jahren gegründeten Internationalen Aids-Impfstoffinitiative (Iavi), die weltweit dafür kämpft, dass die Pharmaindustrie endlich Geld in die Entwicklung eines Impfstoffes investiert, glaubt, dass in fünf bis zehn Jahren ein Stoff entwickelt sein wird, der eine Neuinfizierung verhindert.