Die eigene Hochschule

Heute beginnt in Hannover die dreimonatige Internationale Frauenuniversität, die „ifu“. Zu ihren Protagonistinnen zählen ifu-Präsidentin Ayla Neusel und die Dekaninnen Patricia McFadden und Barbara Duden

von UTE SCHEUB

Zwei Drittel der Wissenschaftlerinnen, die bis zum 15. Oktober die Internationale Frauenuniversität (ifu) in Hannover besuchen werden, kommen aus den armen Ländern Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und Osteuropas. Die Initiatorinnen der ifu erhoffen sich eine weltweite Vernetzung von feministischer Wissenschaft und Politik – als Antwort auf die Globalisierung.

Ayla Neusel

Die Teilnahmekriterien der ifu seien „elitär“, schimpft eine junge Frau bei einer Podiumsdiskussion in Berlin. Ayla Neusel, wichtigste Mitinitiatorin der ifu und heute ihre Präsidentin, bleibt ruhig, zumindest äußerlich. „Ich danke Ihnen für Ihre Anmerkungen“, antwortet die 64-jährige Professorin der Gesamthochschule Kassel höflich. „Denn Sie geben mir Gelegenheit zurückzufragen, was an einer Weiterqualifizierung kritischer Wissenschaftlerinnen verwerflich sein soll.“

Später gesteht sie, dass es mit der Gelassenheit so weit nicht her war: „Der Elitevorwurf verletzt mich durchaus. Ich komme doch selbst aus einer elitekritischen Tradition“, sprich: aus der 68er-Bewegung. Von der Existenz von „Studien“-Gebühren auf Elite zu schließen sei einfach zu deutsch-intern gedacht. Denn: „Zwölf Selbstzahlerinnen finanzieren eine Frau aus der so genannten Dritten Welt. Das ist unser bescheidener Beitrag zur Umverteilung von Nord nach Süd.“

Ayla Neusel stammt selbst aus einem Land des Südens, aus der Türkei. In Istanbul war sie die Schulbeste, Mathe war ihr Lieblingsfach, und ihr deutschfreundlicher Vater schickte sie zum Ingenieursstudium nach Stuttgart. „Ich kam von einer Frauenwelt in eine Männerwelt“, beschreibt sie in ihrer ruhigen, zugewandten Art, von sparsamen Gesten untermalt, ihren damaligen Kulturschock. „In meiner Familie gab es viele starke Frauen, in meiner Mädchenschule waren nur Lehrerinnen. Und dann war ich die erste Türkin an einer deutschen Uni nach dem Krieg und schließlich eine von nur drei Frauen, die in Ingenieurswissenschaften promoviert haben.“ Sie stockt. „Aber wozu wollen Sie das alles wissen? Ich bin doch gar nicht so wichtig.“

Ist sie doch. Denn wahrscheinlich nur so eine, die als Exotin in einer Männerwissenschaft arbeitete, besitzt genügend Hartnäckigkeit, um das Projekt einer internationalen Frauenuni über Jahre hinweg zu verfolgen. Nachdem sie geheiratet und zwei Kinder bekommen hatte, wurde sie Mitbegründerin und Vizepräsidentin der Gesamthochschule Kassel und fand dort ihr zweites Lebensthema: Hochschulforschung und Frauenförderung. In zwei niedersächsischen Kommissionen zur Frauenförderung, denen sie vorsaß, versuchte sie in den Neunzigerjahren der Idee einer Frauenuniversität Konturen zu geben. „Aber nein“, betont sie wieder, „ich bin nicht die Initiatorin der ifu. Das war alles ein kollektiver Prozess.“

Und wenn das Werden zu Ende und die Frauenuni im Herbst vorbei ist, was dann? Zunächst wird der ganze Diskussionsprozess in und um die ifu dokumentiert. Ein erstes von Ayla Neusel herausgegebenes Buch, „Die eigene Hochschule“, erscheint Ende Juli, weitere werden folgen. Außerdem gibt es die virtuelle ifu, die als Netzwerk weiterarbeiten könnte (www.vifu.de). „Aber“, sagt die Frau Präsidentin, „das wird auf Dauer wohl nicht reichen, wir brauchen auch Präsenzphasen.“ Ob als Weiterbildungsangebot an internationalen Orten oder als deutsche Institution, an der auslandsinteressierte Hochschulabsolventinnen eine einjährige Masterausbildung absolvieren können, das hänge von den Teilnehmerinnen ab. Und die will Ayla Neusel als erste befragen lassen.

Patricia McFadden

Eigentlich ist sie hundemüde. Hungrig und abgespannt. Patricia McFadden, 48, afrikanische Aktivistin, Soziologin, internationale Dekanin für den Bereich „Body“, ist extra aus Simbabwe hergeflogen, um an dem zweitägigen Vorbereitungs-Council der ifu in Berlin teilzunehmen. Und dann blüht sie doch wieder auf, lacht, gestikuliert,begeistert sich wieder einmal aufs Neue für die „wunderbare Idee“ einer weltumspannenden Frauenuniversität. „Ich bin bereit, den Rest meines Lebens dafür zu opfern“, sagt sie, und ihre Dreadlocks fliegen, „dass die ifu alle zwei, drei Jahre stattfinden kann.“

Ihre schwarzen und weißen Großeltern stammten aus Südafrika, mussten das Land aber verlassen, weil sie gegen die Rassentrennung verstießen. Patricia wurde in Swasiland geboren. „Ich war die Erstgeborene und wurde wie ein Junge erzogen“, erzählt sie. „Mein Vater war Farmer, ich bin viel mit ihm herumgereist. Ich war schon immer eine Rebellin, wollte immer frei sein, auf Bäume klettern und Dinge tun, die verboten waren.“ Bereits mit dreizehn Jahren habe sie Bücher von Simone de Beauvoir und Angela Davis gelesen. Die Reservate bezüglich Geschlecht, Rasse und Nation, die für eine wie sie vorgesehen waren, hat sie nie akzeptiert.

Zehn Jahre hat sie gebraucht, um die Staatsbürgerschaft von Swasiland zu erhalten. „Wer hat je von einer McFadden gehört, die Swasi war?“, hielten ihr die Bürokraten vom Einwanderungsamt vor. Und weil in weiten Teilen Afrikas die Kinder eine nationale Zugehörigkeit nur über den Vater erhalten, ist auch der vierzehnjährige Sohn der allein erziehenden McFadden staatenlos. Ein Zustand der Rechtlosigkeit, der für Millionen von afrikanischen Müttern und Kindern Alltag ist.

Das hat sie skeptisch gemacht gegenüber den herkömmlichen Begriffen von Demokratie und Bürgerrechten. „Demokratie“, so sagte sie 1996 dem deutschen „Journalistinnenbund“, „ist von ihrer Geschichte und Tradition her exklusiv.“ Die Frauen und die Nichtweißen seien ausgeschlossen worden. „Die Farbe unserer Haut wurde zur Farbe unserer Geschichte. Sie wurde einfach ausradiert.“

Patricia McFadden, die Soziologie in Tansania und Großbritannien studierte, lehrt heute an der Universität von Harare in Simbabwe und baut dort ein afrikaweites feministisches Netzwerk auf. 1997 versuchte die Regierung von Simbabwe, die unbequeme Feministin loszuwerden. Sie wurde als Lesbe denunziert – Homosexualität ist in Simbabwe ein Straftatbestand. Sechs Monate lang stand sie unter der Order, das Land verlassen zu müssen, bis weltweite Protestbriefe von Feministinnen die geplante Ausweisung stoppten.

Nicht nur deswegen ist das „global feminist movement“ für Patricia McFadden eine Hoffnung ersten Ranges: „Wir kommen jenseits von Klassen und Rassen zusammen. Wir haben eine Vision von Gleichheit und Würde für alle. Wir können das Gesicht der Welt ändern!“

Barbara Duden

„Ist sie nicht toll?“, freut sich Barbara Duden an ihrer Kollegin Patricia McFadden. Die beiden Dekaninnen des Themenbereiches „Body“ haben ein hoch interessantes Programm zusammengestellt. Viele internationale Dozentinnen werden kein brisantes Thema entlang von Schmerz und Lust, realer Erniedrigung und symbolischer Überhöhung des weiblichen Körpers auslassen: Bevölkerungspolitik, Genetics, Klinikisierung der Mutterschaft, Klitorisbeschneidung, nationale Körpersymbolik, Cyberfantasien . . .

„Körper“, dieses Thema sei einfach nicht in ein normales Curriculum zu packen, erläutert die 58-jährige Professorin am Institut für Soziologie in Hannover. „Die eigene persönliche Erfahrung ist immer mit auf dem Tisch. Body ist immer somebody.“ Deshalb hoffe sie auf die lebendige Begegnung zwischen Teilnehmerinnen und Dozentinnen, auf den produktiven Zusammenprall der Kulturen in den gastgebenden Unis von Hannover und Bremen. „Wir werden darum ringen, wie wir die Schwachstromebene globaler Begrifflichkeit auf die persönlichen Erfahrungen herunterdefinieren, wie wir über diese Sache Körper sprechen, die eben keine Sache ist.“ Druckreif und gestochen scharf kann sie formulieren und das Ganze mit energischen, wunderbar raumweitenden Gesten unterstreichen. Manchmal aber verhaspelt sie sich auch ein bisschen, weil ihr noch was einfällt, und noch was und noch was, und eins ist wichtiger als das andere.

Wie kam die studierte Historikerin und Anglistin eigentlich zum Thema Körperpolitik? „Durch die Begegnung mit historischen Frauen“, sagt sie. In alten Quellen las sie, was Schneiderwitwen und Adelsdamen im frühen 18. Jahrhundert ihrem Arzt erzählten, wie für sie eine Schwangerschaft erst dann wirklich war,wenn sie Kindsbewegungen spürten.

Für die streitbare Feministin wurde klar: Wie Mutterschaft erlebt wird, ist immer auch sozial konstruiert. Sie wurde zur leidenschaftlichen Kämpferin gegen die „Gewaltförmigkeit der Diskurse“, mit denen Föten und werdende Mütter zum Objekt von Frauenärzten, Lebensschützern, Bevölkerungspolitikern und Reproduktionstechnologen gemacht werden. 1991 erschien ihr wegweisender Essay „Der Frauenleib als öffentlicher Ort“. Inzwischen wurde sie als Sachverständige in die Enquetekommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Bundestags berufen.

Auch für Barbara Duden ist die ifu eine unglaubliche Chance. „Wir wissen nicht, was am Ende dabei rauskommt“, lächelt sie, „und ich stehe dazu, dass das nötig ist.“

UTE SCHEUB, 43, taz-Mitgründerin, lebt heute als freie Autorin in Berlin