„Eine Mutation des Blues“

■ Roh, zärtlich und von bestechendem Charme: Die Londoner Songwriterin Sandy Dillon über Vergangenheit und Gegenwart

„Menschen sagen zu mir: wir haben jemand in Zwangsjacke und auf Prozac erwartet.“ Dabei begann die in Boston geborene Sandy Dillon ihre musikalische Laufbahn ganz klassisch mit elterlichem Klavier-Unterricht. An der „Berkley School of Music“ studierte sie Jazz und klassische Komposition. „Es gibt so viele gute Klassik- und Jazz-Pianisten, also sollte ich wohl Songwriterin werden.“ Sie zieht nach New York, tingelt durch Bars und musiziert mit Dieter Meier, Jaco Pastorious oder Bowie-Gitarrist Mick Ronson.Im Herbst 1999 produziert sie Electric Chair, ihr erstes veröffentlichtes Album. Ein sprödes Werk, das roh und ungeschliffen daherkommt. Und so seinen eigenen, unbefangenen Charme entwickelt.

„Ja, sie werden sich gefragt haben: Was ist das?“, erzählt sie. „Aber es war big fun. Das Leute hier hören dir wirklich zu. Einmal hatte ich im Publikum einen Kerl und seine Frau. Sie stritten sich, während ich spielte. Das ging so nicht weiter, denn niemand konnte mehr zuhören. Also stoppte ich und sagte zu ihr: Ich denke auch, dass er ein Arschloch ist. Und auch ich würde ihn verlassen.“ Sie lacht.

Du trittst beim JazzPort mit Ri-ckie Lee Jones auf, kennt Ihr Euch?

„Nein, ich habe sie auch noch nie getroffen, bin aber ein großer Fan.

Die Ankündigung für das Jazz-Port schreibt, Du spielst „angeblueste, zeitgemäße Klänge“.

„Hahaha, das ist großartig. Damals, als Electric Chair anfing, sagte jemand: Beschreibe deine Musik. Also sagte ich: es ist eine Mutation des Blues. Inzwischen ist das Wort Mutation selbst mutiert: in modern. Aber das ist es nicht, ich weiß nicht ob heutzutage irgendjemand anders einen Kaffeehaus-Tisch spielt? Und mein Percussionist ist großartig an der Dose.“ Sie nimmt ihr Holsten. „Diese ist nicht so gut wie eine Guinness-Dose.“

Guinness klingt besser?

„Ja, sehr gut mit Stäbchen. Teilweise nutzen wir eine volle, dann trinkt sie Steven aus, und die leere klingt ganz anders. Warum also Millionen von Dollar für Equipment auszugeben?“ Sie fängt an, auf der Holsten-Dose zu trommeln. „Dies ist ein Song vom neuen Album.“

Dein neues Album erscheint im Herbst?

„Ich denke, im September, oder vielleicht wird es Oktober. Sie verschieben es gerne, weil es kein Pop-Album ist. Egal. Das nächste Album ist wild. Wenn du es durch Electric Chair geschafft hast, dann wird das neue Album der nächste Level, die nächste Ebene für dich.

Zwei unveröffentlichte Alben existieren noch?

„Ja, da war ich noch sehr jung. Vielleicht wird eins davon jetzt tatsächlich veröffentlicht. Nicht so sehr wegen mir, aber Mick (Ronson) ist gestorben, und seine Fans wollen wirklich alles, was er je gemacht hat. Mir macht das nichts aus, es sind ein paar wirklich gute Songs darauf. Doch es war Mitte der 80er, die Leute mochten Mädchen mit girlie voices.“

Was kann das Publikum erwarten?

„Sie können von mir erwarten, dass sie das Zelt verlassen und ihre Ohren revitalisiert sind.“

Volker Peschel