Face off

Einstein Forum Potsdam und Deutsches Historisches Museum zeigen „Das Gesicht der Weimarer Republik. Menschenbild und Bildkultur 1918–1933“

von BRIGITTE WERNEBURG

Diese Bildabfolge hat zweifellos ihren diskreten Witz: Dem Plakat des NS-Grafikers Mjölnir von 1932 „Schluß jetzt! Wählt Hitler“ folgt die weiße Frau Kurt Heiligenstaedts, die empfiehlt, „Für alle Wäsche: Persil“. Doch mit diesem ironischen Verweis auf jene Verbindung, die die Politik mit dem Produkt aus dem Hause Henkel noch eingehen und die als Persilschein berühmt werden sollte, fällt der Betrachter weit aus dem Zeitrahmen heraus, den der Kurator Hans Puttnies für seine Ausstellung gewählt hat. Denn die will dem Menschenbild und der Bildkultur zwischen 1918 und 1933 nachforschen: „Das Gesicht der Weimarer Republik“ heißt die Schau, die vom Einstein Forum Potsdam und dem Deutschen Historischen Museum organisiert wurde.

Ich habe die Ausstellung direkt nach einem Zahnarzttermin besucht, in dessen Folge meine eine Gesichtshälfte vollkommen betäubt war. Vielleicht ist das nicht unbedingt die richtige Verfassung, sich eine Ausstellung anzuschauen, deren Thema die Physiognomik ist, das Gesicht als der Ort, an dem man der Wahrheit der Zeit und ihrer Menschen begegnet. So jedenfalls wurde die Sache im ersten Viertel des vergangenen Jahrhunderts tatsächlich aufgefasst. Daher ist hier auch eine generelle Politisierung des menschlichen Gesichts in einen ideologischen Kriegsschauplatzes zu beobachten. Das Phänomen ist besonders prominent auf der politischen Rechten, doch zeitlich gesehen ist es die politische Linke, die damit begann, dem Feind die Charaktermaske entreißen zu wollen. George Grosz etwa gab schon 1921 „Das Gesicht der herrschenden Klasse“ zur Besichtigung frei. Als berühmt-berüchtigtstes Beispiel gilt die Fotomontage des deutschen Generalstabs in Kurt Tucholskys „Deutschland, Deutschland über alles“ (1929), die mit „Tiere schauen dich an“ überschrieben war. Den Titel wiederum bezog Tucholsky von Paul Eippers gleichnamigen Bildbandbestseller mit Tierfotografien. Grosz ist in der Ausstellung vertreten. Tucholsky nicht. Das ist schon bisschen schade, genauso wie auch die übelste Bildpropagandaschrift der nationalistischen Rechten fehlt, Edmund Schultz’ „Bildwerk zur Geschichte der deutschen Nachkriegsdemokratie“, das den bezeichnenden Titel „Das Gesicht der Demokratie“ trägt.

Mit eisigem, halb betäubten Gesicht jedenfalls konnte mich die Ausstellung nur partiell faszinieren, etwa in den bösen Splattermotiven der anonymen Fotografien von Soldaten des Ersten Weltkriegs, die deren furchtbare Kiefern-, Nasen- und Kopfverletzungen zeigen. Diese Bilder – vollkommen richtig mit dem Bildmaterial des berühmten Berliner Mitbegründers der modernen Schönheitschirurgie, Jacques Joseph, parallel geführt – machen einen dann doch etwas schwindelig, was dem Fall in die vergangene Zeit günstig ist. Ansonsten hat die Ausstellung schon mit dem Problem zu kämpfen, dass die Weimarer Gesellschaft die erste Mediengesellschaft war und sämtliche ihrer Bild-Erzeugnisse, keineswegs nur die der Avantgarde, hinreichend bekannt sind. Aus hunderten von Ausstellungen, Büchern und Bildbänden zur Weimarer Republik kennt man die Neue Frau, die Nackkörperkultur, den Ausdruckstanz, die Filmstars, die Hellseher und Magier, die Bergsteiger oder den fetischisierten, zerstückelten Körper, dessen Bembergseidenbeine in Form einer Schaufensterplastik durch die Umbo-Fotografie nachgerade zur Ikone der Weimarer Zeit geworden sind.

Immerhin, zwischen den allzu bekannten Motiven in all ihren Variationen finden sich in den fünfzehn Ausstellungskabinetten auch echte Raritäten. Im zweiten Kabinett „Arbeit und Kampf“ zum Beispiel die Zeichnung einer anonymen Fabrikarbeiterin, die unter dem Titel „Die Anfängerin“ die Zudringlichkeit des Vorgesetzten registriert. Interessanterweise erschien das Bild am Ende der Weimarer Jahre in einem der vielen Bücher, die sich an den so genannten kultivierten Erotomanen wandten, unter dem Vorwand der wissenschaftlichen Erkenntnis selbstverständlich, stammte der Band doch „Aus der Werkstatt des Sexualforschers“. Weitere Ausstellungskojen gehen „Sport und Zerstreuung“ nach, „Mode und Sinnlichkeit“, „Hygiene und Benehmen“ wo einem gezeigt wird, „Wie man Auster und Hummer ißt!“, schließlich „Hand und Bein“, „Rasse und Charakter“ sowie „Gesichtsverlust und Vision“. Dazwischen gibt Kabinette, die einfach nur „Der sichtbare Mensch“, Körperkultur“, „Ausdruckstanz“, das „Volksgesicht“ und das „Filmgesicht“ heißen.

Ein erstaunlicher Fund des Kurators im Kapitel „Köperkultur“ ist das farbig übermalte Lichtbild „Heimkehr aus dem Felde“ (1924) des Fotostudio Manassé. Am unteren Bildrand verlassen Soldaten mit geschultertem Gewehr das Schlachtfeld, wobei vor ihnen am fernen Horizont eine nackte Frau mit ausgebreiteten Armen wie eine Vision aufscheint und das Bild beherrscht. Selten hat man den alten Topos der Frau als Natur, Heimat, Sein, Mutter aller Geschlagenen und Entrechteten so seltsam modern, weil extrem nach Hautcremewerbung duftend, gesehen.

Interessant auch das Kabinett „Prostitution und Verbrechen“, wo sich ein Diagramm findet, das Alfred Döblin zeichnete, als er an seinem Roman „Die beiden Freundinnen und ihr Giftmord“ arbeitete. Es handelt sich um die „Räumliche Darstellung der Seelenveränderung von zwei Freundinnen, die einen Mord begehen“, und sie ist mit ihren Kreisen von „Hass, Gefühlsmasse, Mütterl., Sexual., und Homosex.“ gewiss würdig, Aufnahme in die Wahrheits-Serie der taz, „Die wirrsten Grafiken der Welt“ zu finden.

Bis 12. 9., Kronprinzenpalais, Unter den Linden 3; Katalog: 38 DM; Sonderveranstaltung 27. 7., 19 Uhr: Heinrich August Winkler, Richard Herzinger: „Gab es einen deutschen Sonderweg?“