Alles bloß Selbstverdrängung

Eine neue Studie ergibt, dass die meisten Wegzüge aus Prenzlauer Berg keine Folge der Sanierungspolitik sind. Viele ziehen vielmehr aus unsanierten Wohnungen weg

Altbausanierung ist ein heißes Eisen. Nicht nur, weil der Luxusmodernisierung mitunter mit einem Feuerchen im Dachstuhl kräftig nachgeholfen wird. Auch ideologisch ist die Sanierungspolitik heiß umkämpft, vor allem in Europas größten Sanierungsgebiet Prenzlauer Berg.

Nachdem 1997 eine Studie der Betroffenenvertretungen, der zufolge seit der Wende die Hälfte der Bevölkerung ausgetauscht und somit auch verdrängt worden sei, für einigen Wirbel sorgte, wird von anderer Seite nun Entwarnung gegeben. Im Auftrag des Sanierungsträgers S.T.E.R.N. ermittelte das Institut Argus, dass weniger die Sanierungstätigkeit in den fünf Sanierungsgebieten des Bezirks für den Wegzug entscheidend sei, sondern die Tatsache, dass noch viele Wohnungen nicht modernisiert seien.

Über 500 Haushalte, die seit 1994 Prenzlauer Berg verlassen hatten, waren von Argus nach ihren Wegzugsmotiven befragt worden. Das Ergebnis: Entscheidend waren mit 31 beziehungsweise 29 Prozent wohnungsbezogene oder haushaltsinterne Gründe. Im Klartext: Es zieht weg, wer eine bessere oder größere Wohnung will. Die Bedeutung aller anderen Gründe wie etwa fehlendes Grün, zu wenig Kinderspielplätze oder der Autoverkehr, so die Autoren der Studie, träten hinter diesen Motiven zurück.

Dass der Wegzug aus Prenzlauer Berg keine Verdrängung sei, so die Studie, ergebe sich auch aus der Sozialstruktur der Abgewanderten. Fortgezogen sind mit 40 Prozent vor allem größere Haushalte mit drei oder mehr Personen, aber mit 27 Prozent auch junge Familien mit minderjährigen Kindern. Dabei sind Haushalte mit einem höheren Einkommen (4.000 Mark und mehr) mit 35 Prozent weitaus häufiger vertreten als im Durchschnitt des Sanierungsbeites. Hinzu kommt, dass fast jeder zweite Haushaltsvorstand der Wegzügler über einen Hochschulabschluss verfügt. Diesen Daten ensprechen auch die Wanderungsziele, vor allem in besseren Lagen in Westberlin sowie dem Berliner Stadtrand im Nordosten.

Anläßlich der Vorlage der Studie forderte S.T.E.R.N. gestern, die Sanierung im Bezirk auf dem vorhandenen Mittelniveau fortzusetzen. Was dabei aber nicht berücksichtigt wird, ist der drastische Schwund von Substandardwohnungen. Gerade die aber werden im Bezirk immer nötiger, verstärkt doch der Wegzug der Besserverdienenden, im Soziologenjargon selektive Wanderung genannt, die soziale Polarisierung der Quartiere: auf der einen Seite gut verdienende Singles, die in die Wohnungen der Abwanderer ziehen, auf der anderen Seite die, die sich einen Wegzug nicht leisten können. Auch hierzu gibt die Studie eine Zahl: Von den 500 Abwanderern waren gerade einmal zehn Prozent arbeitslos. UWE RADA