Träume in der Inselkäserei

Was hat ein Camembert namens „Rügener Badejunge“ mit dem „Titanic“-Chefredakteur zu tun? Und was verbindet beide mit Sabine Christiansen und dem Beruf des Käsers?

Oft träume ich krause Sachen. Derart fies waren die mit Stricknadelbajonetten bewaffneten Spanier, die jeden, der nicht war wie sie, in den Bauch pieksten, dass ich beschloss: Dahin fahre ich nie wieder. Oder das grauenhafte Muzak spielende Radio, das einfach nicht aufhörte. Ich schaltete es aus – ohne Erfolg. Ich zog den Stecker – es rawähkte weiter. Ich entnahm der Mühle eine CD – sie löste sich in Bandsalat auf, aber der akustische Terror hielt an. Verzweifelt griff ich zur Axt und fünfzigteilte das Gerät. Es half nichts – die Kleinkrümel schrien weiter. Erst als ich erwachte, konnte ich das Radio, neben dem ich eingeschlafen war, erschießen. Danach war ich für Stunden erledigt.

All das aber ist nichts gegen den Alp, der mich Mitte Juli anfiel. Im Traum erschien mir die böse Fee Sabine Christiansen und sagte: „Wenn es dir nicht gelingt, in deinem nächsten Text die Wörter ‚Badejunge‘ und ‚Inselkäserei‘ jeweils so oft unterzubringen, wie mein lieber Freund Martin Sonneborn, der Chefredakteur der Titanic, in der aktuellen Ausgabe seiner Zeitschrift sein eigenes Foto veröffentlicht hat, werde ich dir jeden Wunsch erfüllen.“ Als sei das noch nicht Furcht einflößend genug, fügte sie mit käseeckenem Lachen hinzu: „Wirklich jeden Wunsch . . .“

Mir brach der Schweiß aus. Puuh, war das tückisch! Ich bekam es mit der Angst zu tun. Sabine Christiansen kennt Martin Sonneborn ganz genau! Sie weiß, dass sich der Titanic-Chefredakteur in seiner Zeitschrift etwa so oft abbilden lässt wie früher Erich Honecker im Neuen Deutschland. Sie weiß, dass er in der Juli-Ausgabe sein Foto gleich zehnmal ins Heft pflatschte – weil Martin Sonneborn sichtlich an dem Irrtum laboriert, er sei schon schlau, weil es noch ein paar gibt im Land, die dümmer sind als er. Darauf ist er so deprimierend stolz, dass er immer wieder mit seinem Bild in seine Zeitung hinein muss – notfalls eben zehnmal in einer Ausgabe. Das ist selbst für seine Verhältnisse reichlich, und Titanic-Mitarbeiter spotten schon über das Erste Sonnebornsche Gesetz: „Eins bekomm ich niemals satt – mein Eigenbild im Eigenblatt.“

Außerhalb meines Traums war das alles extrem uninteressant – innerhalb aber äußerst zwackend. Ich saß da wie der Prinz im Märchen: Entweder bestand ich die Prüfung, oder ich war geliefert. Wenn überhaupt, konnte ich diese Aufgabe nur über Umwege lösen. Ich führte eine Übersprungshandlung herbei und ging einkaufen – kochen half mir immer und würde auch hier sicher gut tun. Es war früher Abend; bei Reichelt fand ich eben noch Einlass und schlürte durch das Sortiment. Im Milchprodukteregal lag etwas, von dem ich noch nie gehört hatte: ein Camembert mit dem bizarren Namen „Rügener Badejunge“. War ich erlöst? Gab es den „Rügener Badejungen“ aus meinem Nachtmahr wirklich? Und auch die „Inselkäserei“? Es schien so. Auf der Rückseite der Verpackung beantwortete die „Inselkäserei Bergen auf Rügen“ die Frage, die schon lange unter vielen Nägeln brannte: Wie schmeckt eigentlich Rügen? Die Inselkäserei wusste es. „Der Geschmack der Insel Rügen in seiner reinsten Form: tagesfrische Milch, ausschließlich von Rügener Kühen, in der Inselkäserei zu einem einzigartigen Camembert gereift. Der ‚Rügener Badejunge‘ ist ein Wahrzeichen der grünen Insel mit dem Kreidefelsen.“

Romantisch klang das Gekäse aus der, wunderbares Wort, Inselkäserei herüber. So muss die DDR gewesen sein, die heute so verteufelt wird: Ein Land voller „Badejungen“ wie auf der Verpackung: Nackt bis auf die kurze Buxe, ein Segelschiffchen in der linken, einen Reifen in der rechten Hand, und im Hintergrund segeln zwei Möwen. So sieht er noch heute aus, der pädogenetische Aufschwung Ost: kindlich, deutsch und schnittfest, ein Badejunge aus der Inselkäserei.

Den aber der Zoni gern verkasematuckelt. Der Pathet Egon Krenz, als FDJ-Mann ein Freund der kurzen Hose, schlägt, das möchte man wetten, seine langen Zähne in ihn hinein – in den „Rügener Badejungen“ aus der Inselkäserei Bergen auf Rügen, „45% Fett i. Tr.“, was leider nicht Fett im Tran heißt, sondern bloß: Fett in der Trockenmasse. In dieser Trockenmasse hat sie überleben dürfen, die DDR, das Paradies der FKK-Sonnenfreunde, der Halbnackedeis und – damit hab ich dich, Sonneborn, damit bin ich dir entronnen, Christiansen! – der Badejungen aus der Inselkäserei. Danke, Bhwana Gott, danke, danke. WIGLAF DROSTE

Hinweis:In dieser Trockenmasse hat sie überleben dürfen, die DDR, das Paradies der FKK-Sonnenfreunde