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: Dieter Baumann bekommt sein Recht

Bakterieller Freispruch

Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) stand vor einem Dilemma. Dann kamen die Bakterien zu Hilfe. Sie wiesen den Weg. In einer Urinprobe von Dieter Baumann hatten sich die Kleinstiere eingenistet und die Flüssigkeit verdorben. Ein Dopingkontrolleur konnte sich nicht mehr erinnern, ob er das Fläschchen im Küchen- oder im Kühlschrank gelagert hatte. Jedenfalls wucherte es.

So lösen die Einzeller den spektakulärsten Dopingfall der jüngsten Zeit. Der Rechtsausschuss des DLV sprach am Donnerstagabend Langstreckler Baumann (35) wegen eines Verfahrensfehlers frei, nachdem er schon zuvor die Suspendierung aufgehoben hatte. Baumann darf befreit auf deutschen Tatarenbahnen joggen. Ob er sich auch bei Olympia in Sydney im Stadionrund schnell bewegen darf, ist noch ungewiss. Die Zeichen deuten beim Internationalen Leichtathletik-Verband (IAAF) darauf hin, dass man den deutschen Funktionären folgen wird. Trifft wider Erwarten andere Kunde von der Anti-Doping-Kommission und dem IAAF-Councils ein, kann es länger dauern. Dann nämlich würde ein Schiedsgericht angerufen. Bis zu dessen Entscheid würde Baumann wieder gesperrt.

Die Bakterien. Sie bewahren den DLV vor einem Präzedenzfall, bei dem es um die juristische Behandlung von Dopingfällen geht. Der DLV will, auch nach den Wirren und Winkelzügen im Fall Baumann, Dopingvergehen weiterhin zivilrechtlich verhandeln. Baumann hatte stets dafür gekämpft, dass seinem Fall nur mit den Paragrafen des Strafrechts beizukommen ist. Strafrecht bedeutet: Der große Staat steht dem kleinen Bürger gegenüber und kann einiges auffahren, zum Beispiel Polizeiverhöre oder Telefonmitschnitte. Es gilt der Anscheinsbeweis, das heißt, der Angeklagte kann eine Indizienkette aufbauen, um seine Unschuld zu beweisen. Außerdem gilt: In dubio pro reo. Ganz anders das Zivilrecht. Hier kommt die Beweislastverteilung zur Anwendung: Jeder beweist die für ihn günstigen Tatsachen.

Der Rechtsausschuss des DLV hat den Fall am Ende ähnlich einem Strafprozess geführt, sagt jedoch in der Urteilsbegründung: „Auf die Unschuldsvermutung gemäß strafrechtlicher Grundsätze kann sich ein betroffener Athlet nicht berufen.“ Auch weiterhin nicht. Das Kalkül: Wer dopt, hat einen Vertrag gebrochen, ist somit selbst verantwortlich für die körperfremden Substanzenen in seinem Körper und wird also gemäß IAAF-Regel 55, Ziffer 2 a bis 4 bestraft. Aus. Ende. So soll es weiterhin und Baumann die Ausnahme bleiben. Zudem wollte sich der Verband gegen Schadenersatzforderungen absichern.

Der Leichtathlet nahm das Urteil routiniert auf. „Alles andere wäre eine Überraschung gewesen“, sagte er. Schließlich galt die von ihm kolportierte Theorie als Allgemeingut: Irgendjemand soll zwei Zahnpastatuben der Marken Elmex Sensitiv und Signal mit Metaboliten der anabolen Substanz Androlon kontaminiert haben. Baumann putzte und wurde am 19. Oktober sowie am 12. November positiv getestet.

Dem Schamhaartest, den wissenschaftlichen Expertisen, den Unschuldsbeteuerungen des Athleten zum Trotz: Übrig bleibt ein Verdacht in zwei Richtungen – zumindest so lange, wie kein Täter überführt worden ist. MARKUS VÖLKER