Dickhäuter statt Warmblüter

Mit einem Elefantenrennen macht die Galopprennbahn in Hoppegarten bei Berlin wieder einmal von sich reden. Doch der Pferdesport auf dieser wohl schönsten Rennbahn Europas zieht den Kürzeren. Schuld sind Eigentümer und Betreiber

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

„Vorsicht! Ich könnte schlecht drauf sein! Betreten auf eigene Gefahr“, warnt ein Schild am Eingang zum Pferdestall „Fallada“. Zwar gilt die Warnung einem Hund. Doch sie könnte sich auch auf den Trainer Harald Franke (51) beziehen. Denn die Stimmung unter Trainern, Pferdebesitzern und Jockeys auf der Galopprennbahn in Dahlwitz-Hoppegarten, östlich von Berlin gelegen, ist nicht die Beste. Obwohl in der über hundertjährigen Geschichte der 400 Hektar großen wunderschönen Rennbahn im Grünen große Siege gefeiert wurden, ist der seit dem Mauerfall erhoffte Aufschwung bisher ausgeblieben.

Der gebürtige Sachse, der zu DDR-Zeiten Angestellter beim VEB Vollblutrennbahnen war und 1981 mit Fallada einen DDR-Derbysieg feierte, gehört mit den 30 Pferden, die er derzeit trainiert, zu den halbwegs gut verdienenden Trainern. Vorausgesetzt, die Besitzer zahlen die monatlichen 2.000 Mark pro Pferd püntklich. Franke hat eine einfache Erklärung dafür, warum Hoppegarten bisher nicht den großen Sprung geschafft hat: „Viele Köche verderben den Brei.“ Trainer und Jockeys würden zwischen dem Verwalter der Anlage, einer Treuhand-Nachfolgegesellschaft, die von Pferderennen keine Ahnung hat, und dem finanzschwachen Union-Klub, der die Rennen mehr schlecht als recht ausrichtet, „im Schützengraben sitzen“.

Gab es früher jährlich mindestens 22 Renntage, ist die Zahl in den vergangen Jahren auf bis zu 14 geschrumpft. Immer häufiger findet sich im Rennprogramm der Zusatz „Änderungen vorbehalten“. Während sich das aktuelle Klubpräsidium bemüht, die Situation schönzureden, haben renommierte Mitglieder ihre Mitgliedschaft längst gekündigt. Der Präsident der Besitzervereinigung sprach kürzlich gar von einem „Vorstand der Ahnungslosen“.

Auch Trainer Franke hält sich mit seiner Kritik nicht zurück. Er wirft dem Union-Klub vor, mit großen Sponsoren, die ebenso empfindlich wie Vollblüter seien, nicht pfleglich genug umzugehen und gute Gelegenheiten ungenutzt verstreichen zu lassen. Als der Sultan von Brunei, der als reichster Mann der Welt gilt, 1998 in Berlin war, ritt der milliardenschwere Pferdeliebhaber durch den Grunewald und nicht in Hoppegarten. „Da wurde ein großer Moment verpasst“, schimpft Franke.

Vor dem Hintergrund, dass die meisten Galopprennbahnen – bis auf Baden-Baden, Hamburg, Gelsenkirchen und Köln – über Finanzprobleme klagen, warnt Franke davor, den Untergang Hoppegartens herbeizuschreiben. Er setzt auf die Anlage, die zu den schönsten in Europa zählt, und auf finanzkräftige Kunden aus dem nahe gelegenen Berlin. „Es kann nicht sein, dass wir mit der Hauptstadt im Rücken am Hungertuch nagen.“ Der Trainer ist sicher, unter betuchten Segelyachtbesitzern, Golfspielern und Poloanhängern auch seine Klientel zu finden – „wenn wir eine Lobby hätten“.

Noch ist die Situation nicht so schlimm wie vor zehn Jahren. Damals drohte den DDR-Rennpferden der Wursttod in Frankreich. Als die Bild-Zeitung titelte „800 Rennpferde zum Schlachter“, fanden sich sofort finanzkräftige Tierliebhaber. Eine davon war eine Zahnärztin aus dem Westteil der Stadt, die heute zusammen mit ihrem Mann, einem Bauunternehmer, stolze Besitzerin von zwölf Pferden ist. Vier davon stehen bei Franke im Stall. Gewinnt eins davon ein Rennen, trägt die Prämie gerade einmal „zur Minimierung der Kosten bei“, erklärt ihr Neffe aus Ostberlin, der vor zehn Jahren zusammen mit seiner wohlhabenden Westtante nach Hoppegarten fuhr, um ein Pferd vor dem Schlachter zu retten. Einmal in der Woche ist der Jurastudent, der vorher nichts mit Pferden am Hut hatte, in Hoppegarten, um sich „an den Pferden zu erfreuen“. Auch er kann nicht verstehen, warum sich nicht mehr Leute für diesen Sport begeistern. Er fände es „eine tolle Idee“, wenn sich mehrere Studenten zusammen die Kosten für ein Pferd teilen würden. Aber: „An der Uni ist das verpönt.“

Ein Pferdebesitzer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, weil er dem Union-Klub angehört, kritisiert die Verwalter, nur die Anlage mit ihrer Kaisertribüne gut in Schuss zu halten, die von der DDR übernommenen Pferdeboxen aber verkommen zu lassen und zudem Pferdebesitzer zu vergrätzen. „Wenn jemand elf Boxen belegt, wird aufgerundet und er muss für fünfzehn zahlen.“ Dem Klub wirft er vor, zu wenig Rennen zu organisieren.

Jeder Renntag ohne Sponsoren kostet den Klub 70.000 Mark. Deshalb war der Vorstand überhaupt nicht unglücklich darüber, dass ein für gestern geplantes Rennen ersatzlos gestrichen wurde. Der Grund: Ein Probelauf von 14 indischen und afrikanischen Elefanten, die morgen um den „Cup des Maharadscha“ laufen. Das erste Elefantenrennen in Europa wurde von Ravindra Gujjula, einem aus Indien stammenden Bürgermeister einer Brandenburger Gemeinde anlässlich des 50. Jahrestages der Republik Indien initiiert. In Indien sind solche Spektakel seit 1998 verboten. Vor drei Jahren war es ein Kamelrennen in Hoppegarten, das die Rennbahn in die Schlagzeilen und dem Veranstalter volle Kassen brachte.

Während sich die bundeseigene Gesellschaft, die das Gelände für das Spektakel an den Veranstalter vermietet, über Geld für dringend notwendige Investitionen freut, kriegen Pferdetrainer und -besitzer einen dicken Hals. „Wenn der Union-Klub solche Anstrengungen unternehmen würde wie die Treuhand mit dem Elefantenrennen, wären wir ein Stück weiter“, schimpft Trainer Franke. Für ihn ist das exotische Spektakel „Sensationshascherei“. Ein Pferdebesitzer spricht von „Volksverblödung“ und befürchtet, dass in wenigen Jahren Känguruhs über die Rennbahn springen.

Nicht nur in den Pferdeställen ist der Unmut groß über den Wettlauf der Dickhäuter, die notfalls mit Betäubungsspritzen in Schach gehalten werden sollen. Während das Brandenburger Umweltministerium keinen Verstoß gegen den Tierschutz erkennen kann und auch die Intervention der indischen Sozialministerin, einer Schwägerin der indischen Oppositionsführerin Sonia Gandhi, beim Außenministerium ungehört verhallte, kündigte der deutsche Tierschutzbund Proteste an, sollte das Rennen nicht abgesagt werden. Der Präsident des Bundes spricht von„purer Geschäftemacherei“ und verweist darauf, dass Elefanten nur in Panik von alleine rennen. Die französische Ex-Schauspielerin Brigitte Bardot und Rocksängerin Nina Hagen forderten ebenso wie deutsche Zoodirektoren die Absage des Spektakels. Doch abgesagt hat bisher nur der indische Botschafter in Berlin, der anfangs noch als Schirmherr auftrat. Ehrengäste sind nun der Maharadscha Gaj Singh von Jodhpur und die Prinzessin Yashodra Raje Scindhia.

Während der Kartenvorverkauf auf vollen Touren läuft, die Veranstalter hoffen auf 40.000 Besucher, kam vor wenigen Tagen Protest aus einer Ecke, die nicht von dieser Welt ist. „Uriella“, Begründerin der Neuoffenbarungsbewegung „Fiat Lux“, die seit Jahren vor dem Weltuntergang warnt, schickte außer einem „Gott zum Gruß“ die Aufforderung, „unverzüglich freiwillig“ von dem Rennen Abstand zu nehmen. Doch ihr Wunsch an die Veranstalter verhallte ungehört. Unter größter Geheimhaltung wurden gestern die Tiere nach Hoppegarten gebracht. Dass auch das selbst ernannte Sprachrohr Gottes nichts ausrichten konnte, mag daran liegen, dass „Uriella“ ihre hellseherische Gabe zum ersten Mal gespürt haben will, nachdem sie von einem Pferd gestürzt war.