Bewährungsprobe verpatzt

Angela Merkel und Friedrich Merz haben ihren Status als Hoffnungsträger der CDU verloren. Für Bayerns CSU-Chef Stoiber war es ein großer Tag

aus Berlin BETTINA GAUS

Personelle Konsequenzen? „Nein.“ Angela Merkel schüttelt den Kopf, erkennbar fassungslos angesichts der Absurdität der Frage. „Nein, nein.“ Wie kann irgendjemand nur auf so eine Idee kommen? Schließlich will die CDU-Vorsitzende die Zustimmung die Bundesrats zur rot-grünen Steuerreform keineswegs auf der ganzen Linie als Niederlage verstanden wissen. Gewiss, hinsichtlich des taktischen Verfahrens habe die Union nicht gewonnen. Aber inhaltlich sei doch ein schöner Erfolg erzielt worden: „Die Steuerreform trägt sehr deutlich die Handschrift der CDU.“ Das zeigten allein schon die in letzter Minute eingefügten Verbesserungen für den Mittelstand.

Rückendeckung aus Bayern

Angela Merkel bleibt sich treu. Sie verliert nicht, sondern fühlt sich allenfalls „herausgefordert“. Eine unwiderrufliche Entscheidung kann niemals schlecht sein – ein „etwas längeres Verhandeln“ hätte allerdings zu einem „noch besseren“ Steuerrecht“ geführt. Jetzt ist vor allem Verständnis für die „eigene Situation“ gefragt, in der sich die Ministerpräsidenten der verschiedenen Bundesländer befunden haben. Nur dann kann das – etwas kryptische – Ziel erreicht werden: „Es muss geschafft werden, in der CDU die Einheit in Vielfalt zu erreichen.“

Im Vorfeld der Entscheidung haben Beobachter eine Zustimmung des Bundesrats zur Steuerreform der rot-grünen Bundesregierung als dramatische Niederlage für die neue CDU-Führung gewertet. Vor diesem Hintergrund braucht Angela Merkel ein bisschen Zeit, um die Formulierungen zu finden, mit denen sich die gestrige Entscheidung in einen Erfolg umdeuten lässt. So muss sich denn erst einmal der Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz den Fragen der Journalisten stellen. Der eignet sich allerdings nicht so gut dafür, Katastrophen zu Siegen zu erklären.

Bleich, angegriffen und erkennbar wütend tritt Merz vor die Mikrofone. „Dass dies nun kein Tag ist, über den ich mich erkennbar freue, das können Sie sich vorstellen.“ Im Präsidium und im Vorstand der CDU werde über die Konsequenzen aus dem heutigen Tag intensiv zu beraten sein. „Wenn Absprachen, die man getroffen hat, nicht eingehalten werden, dann muss man sich halt fragen, wie man künftig eine Oppositionsstrategie macht.“ Rückendeckung bekommt Fraktionschef Merz in dieser Frage vom bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber. Auch der lässt durchblicken, dass nun ein Scherbengericht droht: man könne nicht „hinter dem Rücken anderer“ Vereinbarungen treffen. „Wenn hier dem Herrn Diepgen das Olympiastadion bezahlt wird“, dann wolle er schon fragen, warum das für Bayern nicht gelte.

Wenn es nach den Wünschen der Opposition gegangen wäre, dann hätten Diskussionen über Mängel der rot-grünen Politik das Sommerloch gefüllt. Nun werden die Medien in den nächsten Monaten wohl weiterhin von der internen Krise der Union leben. Zurücktreten will allerdings auch Friedrich Merz nicht. „Ich werde meine Arbeit als Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion selbstverständlich fortsetzen.“ Wenn Politiker ungefragt mitteilen, was sie für selbstverständlich halten, dann ist es meist alles andere als das. Die Abstimmung über die rot-grüne Steuerreform war die erste ernsthafte Bewährungsprobe für den Fraktionschef. Er hat sie nicht bestanden.

Vom kometenhaften Aufstieg des CDU-Abgeordneten Friedrich Merz war oft die Rede, als der 44-Jährige im März zum neuen Fraktionsvorsitzenden der Union gekürt wurde. Das Bild ist treffender, als viele damals vermutet haben mögen. Kometen verglühen. Er habe sich natürlich auch gefagt, ob es richtig gewesen sei, im Vermittlungsverfahren als Verhandlungsführer aufzutreten, erklärt er auf der Pressekonferenz. Und er sei zu dem Ergebnis gekommen: „Es war richtig.“ Man hätte ihm sonst zu leicht den Vorwurf machen können, der Verantwortung ausgewichen zu sein. Dieser Vorwurf kann nun nicht erhoben werden – wohl aber der, dass der Fraktionschef seinem Amt nicht gewachsen ist.

Rollenwechsel nicht vollzogen

Merz ist ein Fachmann für Steuerfragen. Als einfacher Bundestagsabgeordneter war er mit dieser Kompetenz für seine Partei brauchbar und nützlich. Aber Experten füllen keine Bierzelte, und sie reißen die Bevölkerung nicht mit. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. Ihr Job ist es, diejenigen zu beraten, die um jubelnde Zustimmung ringen: die Spitzenpolitiker. Die müssen Generalisten sein, welchem Gebiet auch immer ihr besonderes Interesse gilt. Diesen Rollenwechsel hat Merz nicht vollzogen.

Ausführungen über das „Halbeinkünfteverfahren“, das die Besteuerung von Dividenden regelt, sind wenig geeignet, die eigenen Parteigänger hinter sich zu versammeln und um neue Anhänger zu werben. Als Friedrich Merz das endlich selbst erkannte, war es zu spät. Seine Vorwürfe, die Steuerreform sei ungerecht und benachteilige sowohl den Mittelstand als auch Privatpersonen gegenüber der Großindustrie, kamen zu spät, um noch glaubwürdig zu erscheinen.

Der Fraktionschef ist in der ersten Reihe in die Schlacht gezogen, und er wurde über den Haufen geritten. Seine Parteivorsitzende ist jetzt damit beschäftigt, den geordneten Rückzug einzuleiten. Dabei wäre es traditionell eigentlich ihre Aufgabe gewesen, die Partei als Ganzes zusammenzuhalten. Das ist Angela Merkel nicht gelungen. Es entspricht nicht ihrer Natur, wie ein Komet in einem Meer von Sternschnuppen zu verglühen. Ihr Glanz verblasst allmählich. Aber ebenso unaufhaltsam.

Hilft da einer nach? „Viel Glück und Gottes Segen“, hatte Helmut Kohl der neuen Vorsitzenden seiner Partei nach ihrer Wahl gewünscht. Damals hatte sie gerade den Prozess der Versöhnung mit dem Altkanzler eingeleitet: „Ihr Werk, lieber Helmut Kohl, bleibt historisch überragend“, rief Angela Merkel auf dem Wahlparteitag. Inzwischen musste sie mit weiteren Hiobsbotschaften hinsichtlich der Amtsführung ihres einstigen Mentors fertig werden, und gerade erst hat sie ihn als „offene Flanke“ der CDU bezeichnet.

Stoiber nicht uneigennützig

Die neuerliche Abkehr vom alten Patriarchen missfällt vielen in der Partei. Auf dem Höhepunkt der CDU-Spendenaffäre richteten die Bremer Christdemokraten einen Neujahrsempfang aus, auf dem Helmut Kohl begeistert gefeiert wurde. Gestern gehörten die Vertreter der großen Koalition der Hansestadt zu denjenigen, die den Steuererfolg der Bundesregierung ermöglicht haben. Zufall?

Angela Merkel und Friedrich Merz mögen im Amt bleiben, aber ihren Status als Hoffnungsträger ihrer Partei haben sie verloren. Es gab in der Union jedoch gestern nicht nur Verlierer. Für den bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber war es ein großer Tag. Er kann gegenüber dem ungeliebten, glücklosen Führungsduo der Schwesterpartei großmütige Solidarität an den Tag legen. „Großartige Arbeit“ leisteten die CDU-Vorsitzende Angela Merkel und der Unions-Fraktionschef Merz, betonte Stoiber.

Uneigennützig sind derlei demonstrative Bekundungen der Freundschaft mit der Schwesterpartei freilich nicht. Eine angeschlagene CDU-Spitze kann dem starken Mann aus Bayern keinen ernst zu nehmenden Widerstand leisten. Wenn Edmund Stoiber im Bundestagswahlkampf 2002 die Siegeschancen so einschätzt, dass er gern Kanzlerkandidat werden möchte, dann wird es wohl niemanden mehr geben, der sich ihm in den Weg stellen kann.