Klirrende Differenzen

■ Geschichtsbewusster New Wave Pre-Rock: TGV heute Abend in den Astra Stuben

Angesichts weiblicher Gesprächsgegenstände gerät der (traditionell weiße Mittelklasse-Hetero-sonstwas-)Rezensent regelmäßig in unsichere Fahrwasser. Wie war das noch gleich mit der Gültigkeit der unterstellt allgemeinen, freilich männlich geprägten Kategorien wie Musikgeschichte, Genres, Handwerk, etc.? Und mit der schonenden, respektive herablassenden Sonderbehandlung von musizierenden Frauen durch Männer (Bonus durch scheinbare anatomische Andersartigkeit, „Ausziehen!“-Rufe)? Die Differenzen der Geschlechter herausstreichen, vorschieben oder ignorieren?

Früher hatte man „normale“ und explizit „Girl-Groups“ geheißene Bands, da war das alles doch einfacher. „Ach wo“, wenden die Kerle im Musikgeschäft ein, „Musik hat doch gar kein Geschlecht, Musik ist höchstens g-gut oder g-schlecht. Ha ha.“ Bei allem Widerwillen zustimmend ertappt sich, wer je einen Auftritt der, ähem, drei Damen von TGV erlebt hat, die heute Abend die überschaubare Astra-Stube einmal mehr in eine dschungelartig-enge Kollektivsituation verwandeln dürften. Das ambitionierte Trio, weit mehr als ein bloßes Nebenprojekt von Elena Langes Stella, spielt energisch-klirrenden Funk-New Wave, der minutenweise zum frischesten gehört, was diese (an 80er-Verarbeitern nicht direkt arme) Stadt seit geraumer Zeit hervorgebracht hat. Buzzcocks-Tempo und Gang of Four-Rhythmik – die furiosen „Pre-Rock“-Perlen TGVs bedürften keinerlei Rubrizierung entlang von Geschlechterstereotypen, wäre es den (männlichen) Gewährspersonen ernst damit, dass sich „gute“ Musik immer durchsetzt, unabhängig von der Chromosomenzusammensetzung derer, die sie machen.

Da ist es wohl mehr als eine Geschmacksentscheidung, wenn sich TGV zwischen den genannten musikalischen Koordinaten bewegen (und nicht z.B. im bei den Band-, tja, -Mitgliedern mithin nicht unbeliebten Dicke-Hosen-Rock). Vielmehr stehen sie damit in einer Traditionslinie mit den Au-Pairs, UT, Raincoats oder Bush Tetras – Bands, die, maßgeblich von Frauen betrieben, als mehr oder weniger explizite Maßnahmen weiblicher Selbstermächtigung, als Thematisierung oder Unterminierung der Konventionen weiblicher Repräsentation wahrgenommen wurden. Dass eine Bezugnahme hierauf bei TGV selten auf der allzu naheliegenden Textebene geschieht, mag als Einfluss neuerer Postfeminismen erkannt werden, die TGV wohl rezipiert haben. Dann wiederum soll ein TGV-Konzert ja auch keine keine didaktische Veranstaltung sein, davor stehen die griffigen Dreiminüter mit hohem Mitnick- und move-your-hips-Faktor, die dem Publikum da um die Ohren gehauen werden. Das „Playing with another Sex“ (Au-Pairs) und seine Vorzüge muss da schon ein jeder selbst finden.

Alexander Diehl

Heute, 22 Uhr, Astra-Stuben, Sternbrücke