Zacken aus der Krone

Wenn sich heute der neue Landesdenkmalrat konstituiert, könnte er zuallererst einen Verlust beklagen. Denn in diesen Tagen soll auch das Ahornblatt fallen. Doch das ist nur der Anfang

von UWE RADA

Heute, morgen oder übermorgen sollen die Bagger rollen. Das Ahornblatt auf der Berliner Fischerinsel, jener 1971 von Ulrich Müther vollendete Schalenbau, soll weg. Einige Personen, vor allem Studenten der Architektur, haben bereits angekündigt, sich den Baggern in den Weg zu stellen. Andere zucken mit den Schultern, weil sie andere Gebäude schöner finden. Ein ganz normaler Konflikt. Oder doch nicht?

Die Denkmalschützer, die sich heute zur konstituierenden Sitzung des neuen Landesdenkmalsrats zusammenfinden, müssten es eigentlich wissen. Schließlich rührt das bevorstehende Ende des Ahornblattes an ihrem Selbstverständnis. Zwar ist der Abriss der Nachkriegsmoderne aus den 60er- und 70er-Jahren in Berlin bereits auf Touren gekommen. Doch mit dem Ahornblatt steht nicht nur ein denkmalgeschützter Bau von unbestrittener ingenieurstechnischer und bauhistorischer Bedeutung zur Disposition, sondern auch die Kultur des Denkmalschutzes selbst.

Sollte das Ahornblatt tatsächlich abgerissen werden, droht immerhin jener Damm zu brechen, an dem die Gegner der Moderne spätestens seit der Vorlage des „Planwerks Innenstadt“ graben. Dieter Hoffmann Axthelm, einer der Autoren des Planwerks, plädiert schließlich nicht nur für den Aufbau einer kleinen, aber feinen parzellierten Bürgerstadt, sondern auch für die Schleifung all dessen, was einmal einem anderen Selbstverständnis verpflichtet war als dem von Privateigentum und Renditearchitektur. Denkmalschutz, fordert Hoffmann-Axthelm ganz folgerichtig in einem Gutachten für die grüne Bundestagsfraktion, solle künftig nicht nur entstaatlicht werden, sondern sich nur noch auf jene Gebäude erstrecken, die man gemeinhin als schön empfindet.

Das Ahornblatt mit seinem verschwenderischen Umgang mit Fläche und Raum ist den Gegnern der Moderne schon lange ein Dorn im Auge. Gleiches gilt auch für die Fischerinsel, deren vormalige Idee der Stadtlandschaft von den Autoren des Planwerks durch eine Blockrandumbauung unkenntlich gemacht werden soll. Selbst der Park an der Spitze der Fischerinsel, die ihrerseits im Übrigen selbst der Abrisswut der Sechzigerjahre entsprungen war, soll bebaut werden. Dies wiederum will der Baustadtrat des Bezirks Mitte, Thomas Flierl (PDS), verhindern. Das ist der Ursprung jener Konfliktlage, an deren Ende der Denkmalschutz als Verlierer hervorzugehen droht.

Um die Planwerks-Verfechter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung milde zu stimmen, signalisierte Flierl Entgegenkommen beim Ahornblatt. Zwar lehnte die untere Denkmalbehörde des Bezirks den Abriss durch den Investor OMG ab, verzichtete ihrerseits aber auf Widerspruch, als Senatsbaudirektor Hans Stimmann das Verfahren an sich zog. Ohne einen solchen Widerspruch konnte aber der Landeskonservator Jörg Haspel, ein leidenschaftlicher Befürworter des Ahornblatts, nicht eingreifen.

Ob sich Flierls Hoffnung, wenigstens die Inselspitze zu retten, erfüllen wird – es mehren sich die Anzeichen, dass Stimmann das Gentleman-Agreement aufkündigt – ist allerdings nachrangig. Entscheidend ist, dass mit der Preisgabe des Denkmalschutzes zugunsten politischer Prioritäten morgen auch das Haus des Lehrers und die Kongresshalle am Alexanderplatz fallen könnte und demnächst auch der ganze Rest der Moderne. Berlin bringt sich damit, wie schon oft gesagt wurde, ohne Not um die Zeugnisse jener Epoche, in der die Stadt weltweit tatsächlich einmal führend war.

Bringt oder brächte? Noch immer, heißt es aus dem Hause des Investors, könne man sich eine Hochhauslösung vorstellen, bei der das Ahornblatt erhalten bliebe. Das genau fordern auch die Studenten, die den Abriss in letztzer Minute verhindern wollen. Und in seltener Eintracht haben in den vergangenen Tagen Prominente und Fachleute ihre Stimme gegen den Abriss erhoben und Senatsbaudirektor Hans Stimmann aufgefordert, der Forderung nach einem Abrissmoratorium zuzustimmen.

Ein ganz normaler Konflikt oder keiner? Auch der Berliner Architekturstreit begann 1992 fast unbemerkt mit einem Gutachten Dieter Hoffmann-Axthelms zur Rekonstruktion der Friedrichstadt. Später hat er Berlin dem internationalen Verdacht ausgesetzt, eine Rückwendung zur autoritären Architektur Preußens und des Nationalsozialismus initiiert zu haben.

Mit dem Abriss des Ahornblatts bricht sich Berlin nicht nur einen Zacken aus der Krone, sondern droht – quasi in einem Akt des baulichen Exorzismus – gleich noch jene Zeugnisse der Baugeschichte zu eliminieren, die explizit in Opposition gegen diese Ästhetik der Macht entstanden sind. Mit Schönheit hat dies nichts zu tun, mit Barbarei schon eher.

Hinweis:Mit dem Ahornblatt steht nicht nur ein bedeutendes Gebäude zur Disposition, sondern der Denkmalschutz selbst