Einschläfernde Nacktheit

■ Öd und irritierend: Der Tanz bloßer Leiber in der viel gepriesenen Performance „Herses“ von Boris Charmatz

Fünf nackte Menschen auf der Bühne. Sie stehen, sie gehen, sie rollen auf dem Boden herum. Sie rollen mit den Augen und machen Bewegungen, die man als Säen und Sammeln interpretieren könnte. Sie rollen allein, zu zweit, schließlich als Körperknäuel aus drei, vier und fünf mal vier Gliedmaßen über das Podest – und uns klappen dabei langsam die Augen zu.

Als großes Talent des neuen französischen Tanztheaters wird der 24-jährige Boris Charmatz beim Sommertheater angekündigt. Eine „ebenso sensible wie ironische Konfrontation von Utopien und Illusion“ wird seiner Choreografie „Herses (une lente introduction)“ nachgesagt.

Ja, wenn man will, kann man allerhand hineindeuten in diese Bewegungsabfolgen. Wer möchte, erkennt darin „die Konstruktion des Selbst durch den anderen“ oder „die Abschaffung der virtuellen oder fiktionalen Distanz in der gewohnten Beziehung zwischen Pub-likum und Bühne“ wie uns die Pressemappe vordenkt. Man kann sich aber auch entsetzlich langweilen.

Die Tänzer sind nackt. Diese Tatsache ist noch das Spannendste, weil sie erstaunlich irritiert. Denn der Zuschauer wird in die Rolle des Voyeurs gedrängt und gezwungen, über sein ureigenes Verhältnis zur Nacktheit nachzudenken. Und weil das verstört, schiebt man den Gedanken schnell wieder zur Seite und fühlt sich unwohl. Dabei sollte man meinen, dass Nacktheit mittlerweile ganz normal geworden ist. Trotzdem ist es etwas anderes, wenn fremde Menschen direkt vor einem die Beine spreizen, mit den Brüsten wackeln und den Arsch entgegenstrecken.

„Der ist ja gar nicht nackicht“, flüstert ein Zuschauer empört, als sich gegen Ende der Performance ein Mann in Hose und Jacke auf einen Stuhl neben das Podest setzt und sein Cello mit einer Komposition von Helmut Lachenmann bearbeitet. Was will uns der Künstler damit sagen? Vielleicht die Analogie von Tönen, die der Cellist auf seinem Instrument erzeugt, mit den Bewegungen, die der Tänzer seinem Körper entlockt. Töne und Bewegungen, die trotz ihrer archaischen Reduziertheit und Referenz an die Utopien der Moderne eine ungemein einschläfernde Wir...

Karin Liebe