Teufelskreis mit Zyankali

Nachdem eine Frau zusammen mit ihrem Freund ihren Ehemann mit Zyankali von seinem Leiden erlöst hat, zeigt die Gesellschaft für Humanes Sterben die Betreuerin und behandelnden Ärzte an

von BARBARA BOLLWAHN
DE PAEZ CASANOVA

Der Fall ist in jeder Hinsicht ungewöhnlich: Am vergangenen Donnerstag haben sich eine 65-jährige Frau und ihr 62-jähriger Lebensgefährte mit Zyankali das Leben genommen. Zuvor hatten sie den Ehemann der Frau, Klaus-Peter K., einen 72-jährigen Agrarwissenschaftler, der getrennt von seiner Frau lebte, in einem Pflegeheim in Zehlendorf mit Zyankali getötet. Der Grund: Der Professor war seit einem Schlaganfall im Dezember 1998 hirntot und wurde durch eine Sonde in der Bauchdecke künstlich ernährt. Das von ihm hergestellte Zyankali hatte er seiner Frau überlassen, sollte er einmal an einer unheilbaren Krankheit leiden. Er war mit seiner Ehefrau, von der er aufgrund vieler Auslandsaufenthalte seit Jahren getrennt lebte, ebenso befreundet wie mit deren Lebensgefährten.

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) hat jetzt angekündigt, wegen Verdacht auf Körperverletzung und unterlassene (Sterbe-)Hilfeleistung Anzeige gegen die vom Amtsgericht Schöneberg eingesetzte Betreuerin und die behandelnden Ärzte zu erstatten. Die DGHS beruft sich unter anderem auf ein Urteil des Frankfurter Oberlandesgerichts, das im Fall einer 85-jährigen Frau, die im Koma lag und künstlich am Leben erhalten wurde, entschieden hatte, dass der Abbruch lebenserhaltender Maßnahen durch das Vormundschaftsgericht genehmigt werden könne, wenn dies dem zuvor geäußerten oder dem mutmaßlichen Willen des im Koma liegenden Patienten entspreche. Klaus-Peter K. hatte diesen Wunsch nach Angaben von Rechtsanwalt Frank Teipel gegenüber seiner Frau, seinen Kindern wie auch einem Bekannten mehrfach geäußert.

Der Rechtsanwalt hatte im Auftrag der Ehefrau beim Amtsgericht einen solchen Antrag gestellt, weil die eingesetzte Betreuerin den Abbruch der lebenserhaltenden Maßnahmen abgelehnt hatte. Der Ehefrau war die Betreuung entzogen worden, nachdem eine Tochter aus erster Ehe behauptet hatte, ihrer Mutter gehe es um finanzielle Interessen. „Das ist absoluter Quatsch“, so der Medizinrechtler. Teipel redet von einem „Teufelskreis“. Einerseits habe die zuständige Richterin die Auffassung vertreten, dass die Zustimmung der Betreuerin nicht erforderlich sei. Andererseits hätten die Ärzte in dem Pflegeheim ohne die Betreuerin nichts unternommen.

Absolut unerklärlich ist für Teipel der Selbstmord der Frau und ihres Lebensgefährten. „Sie hatten das Recht auf ihrer Seite.“ In einem Abschiedsbrief hatten sie mitgeteilt, dass sie das Leiden von Klaus-Peter K. nicht mehr ertragen und ihrerseits Angst gehabt hätten, ein ähnliches Schicksal zu erleiden. Teipel kündigte an, auf dem Deutschen Juristentag im September in Leipzig über das Thema Patientenverfügung „Fraktur zu reden“.