Perestroika am Potsdamer Platz

Nach der neuen Mitte die neue Berlinale: Was bedeutet der Machtwechsel an der Festival-Spitze für Panorama und Forum?

Alles wird anders werden, und wahrscheinlich ist das auch ganz gut so.

Dass die Berlinale mit den beiden rivalisierenden Festivalleitern Moritz de Hadeln und Ulrich Gregor nicht der Ort der fröhlich-franken Gespräche ist, war nie ein Geheimnis. Über die Jahre hatte man sich an Animositäten gewöhnt – wie bei einem Dorfzwist, bei der irgendwann keiner mehr weiß, wer welcher Familie wann den ersten Esel gestohlen hat. Also schaufelten Berlinale-Wettbewerb und das mit ihm kooperierende „Panorama“ auf der einen und das „Forum“ auf der anderen Seite ihre Programme jahrzehntelang ohne größere Absprachen mit der anderen Seite voll.

Ob der zukünftige Berlinale-Chef Dieter Kosslick der Herausforderung des neuen Jobs gewachsen ist, wird nicht zuletzt von der Auswahl seiner zukünftigen künstlerischen Berater abhängen. Doch in jedem Fall eröffnet seine Berufung und der angekündigte Rücktritt von Ulrich Gregor für die Berlinale neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit.

Das Forum zum Beispiel ist ein selbst verwaltetes Festival im Festival. Dennoch kann sich Gregors designierter Nachfolger und jetziger Mitarbeiter Christoph Terhechte sehr gut vorstellen, „dass es auch institutionell so aussieht, dass das gesamte Festival letztlich von einer Gruppe von Leuten geleitet wird, die sich untereinander austauschen“.

Was natürlich auch bedeuten würde, dass man einen Film besser in einer anderen Sektion aufgehoben sieht beziehungsweise, so Terhechte, dass auch der Wettbewerb dem Forum nicht eifersüchtig Filme wegnimmt.

Ähnliche Signale gibt auch Panorama-Leiter Wieland Speck: „Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen und überlegen, was am besten wohin passt.“

Die Berlinale, eine harmonische Schwatzbude, bei der sich alle an den Händen nehmen und überlegen, in welche Sektion der jeweilige Film sanft gebettet wird? Fast zu schön, um wahr zu sein. Und auch insofern schwierig, als das Profil von Forum und Panorama durch das jahrelange Aneinandervorbei an den Rändern etwas verwischt ist.

Terhechte will als zukünftiger Forumsleier selbstredend weiter für experimentelle und avantgardistische Formen eintreten: „Alles, was das breite Publikum überfordert, in Berlin aber eine große Minderheit zusammenbringt, die 100.000 Plätze einnimmt.“

Als unverzichtbare Säulen sieht er die ausführliche Dokumentation der Forumsblätter sowie die angeschlossene Verleiharbeit des Vereins der Freunde der deutschen Kinemathek, der Teile des Forumprogramms in die kommunalen Kinos bringt. Für Speck wiederum ist die Betreuung der Filmeinkäufer beziehungsweise die Zusammenarbeit mit dem Filmmarkt seit jeher erstes Mittel, um aus der Festivalvitrine herauszukommen: „Natürlich wird nach wie vor eines unserer wichtigsten Ziele sein, dass die Filme durch diesen Kontakt ins Kino kommen.“

Gleichzeitig warnt er eindringlich davor, aus dem schwul-lesbischen Schwerpunkt des Panoramas eine eigene Reihe zu machen: „Genau das wäre ein Schritt zurück. Wir haben doch gerade jahrelang gegen die Ghettoisierung gearbeitet und schwul-lesbische Filme ganz selbstverständlich über das gesamte Panoramaprogramm verteilt.“ Andererseits vertraut Speck durchaus darauf, dass Kosslick auf dem aufbaut, „was wir hier in Berlin erarbeitet haben“.

Zwar hatte Michael Naumann die Berlinale vor einigen Wochen etwas pauschal als einen Wust von Filmen bezeichnet, doch von einer möglichen Reduzierung ihres Programms (Panorama rund 50 Filme, Forum rund 80) wollen weder Speck noch Terhechte etwas wissen. „Das kann man in einer Kurstadt wie Cannes machen“, so Speck, „aber in Berlin ist die Szene lebendig, und unsere täglichen 6.000 Panorama-Plätze sind zu neunzig Prozent ausgelastet.“ Und Terhechte warnt: „Weniger Filme heißt auch weniger Einnahmen, und dann gibt’s Ärger.“

Immerhin scheint die Zeit des Kalten Krieges vorbei, und wenn sich Speck und Terhechte demnächst mit Kosslick & Co zusammensetzen, wird unter dem Dach der drei traditionellen Sektionen möglicherweise eine völlig neu strukturierte Berlinale entstehen. Wie sich Autoritäten und künstlerische Kompetenzen dann verteilen, könnte ziemlich spannend werden.

KATJA NICODEMUS