Kein Tag ohne Bombenanschläge

Geiselnahmen sind für die Bevölkerung der Philippinen nur die Zuspitzung eines Konflikts, in dem die Wut über soziale Ungerechtigkeit das Zusammenleben von Christen und Muslimen zu vergiften droht

ZAMBOANGA-STADT taz ■ Für den 10-jährigen Ariel Sanchez und die 35-jährige Sarah Sarapudin endet der morgendliche Besuch auf dem Markt der südphilippinischen Stadt Kabacan am Sonntag tödlich: Eine Bombe explodiert vor dem Verkaufsstand, an dem die beiden gerade vorbeigehen. Das Kind stirbt auf der Stelle, die junge Frau erliegt einige Stunden später im Krankenhaus ihren Verletzungen.

Am gleichen Morgen geschieht an einem anderen Ort auf der Insel Mindanao eine weitere Tragödie: Bewaffnete Männer überfallen 20 Dorfbewohner in Bumbaran und ermorden sie. Einen Tag später zerfetzt ein Sprengsatz an einem Busbahnhof zwei Passanten. Für die Behörden ist jedes Mal sofort klar, wer hinter dem Anschlag steckt: Die Täter seien „Terroristen der Moro Islamic Liberation Front“, erklärt ein Militärsprecher und meint damit die größte muslimische Rebellenorganisation der Philippinen, die für einen eigenen islamischen Staat im Süden des überwiegend christlichen Landes kämpft und unter der Abkürzung MILF bekannt ist.

Kein Tag vergeht inzwischen ohne Bombenanschläge und andere Schreckensmeldungen aus dem wilden Süden des Inselstaats. Im Ausland geriet die Region in die Schlagzeilen, nachdem eine andere Organisation, die Kidnappertruppe „Abu Sayyaf“, am Ostersonntag deutsche und andere Touristen von ihrer malaysischen Urlaubsinsel verschleppt hatte. Inzwischen sind auch vier deutsche und französische Journalisten in der Gewalt von Entführern, während die Deutsche Renate Wallert und zwei Malaysier wieder frei sind.

Doch für die Bewohner der Philippinen sind die Geiselnahmen nur eine weitere Komplikation einer gefährlichen Entwicklung, die mittlerweile die Bevölkerung ganzer Landstriche auf Mindanao terrorisiert und die Wirtschaft dieser fruchtbaren und rohstoffreichen Insel lähmt. Es ist ein Konflikt, in dem die Wut über soziale Ungerechtigkeit das Zusammenleben von Christen und Muslimen zu vergiften droht.

Jahrelang konnte die Moro Islamic Liberation Front, die nach eigenen Angaben über 16.000 bewaffnete Kämpfer verfügt, von mehr als einem Dutzend Stützpunkten aus Teile Mindanaos kontrollieren. Nach gescheiterten Friedensverhandlungen ging die Regierungsarmee im Frühjahr in die Offensive, bis sie in der vergangenen Woche ihren großen Erfolg verkünden konnte: Auch die letzte der Basen, das 10.000 Hektar große Hauptquartier „Camp Abukabar“ in Zentralmindanao, war eingenommen.

Die Reaktion vor Ort ist eher gedämpft. Denn ein Ende des Krieges zwischen den Soldaten Manilas und der MILF, der schon Hunderttausende Dorfbewohner aus ihren Häusern vertrieben und Tausende Todesopfer gefordert hat, ist auch nach dem Fall von „Camp Abukabar“ nicht in Sicht: Rebellenchef Hashim Salamat hat inzwischen erklärt, er werde seinen Kampf als Guerillakrieg weiterführen und zum „Jihad“ (Heiligen Krieg) aller Muslime Mindanaos gegen die Regierung aufrufen. Das wiederum ist Wasser auf die Mühlen der Hardliner in Manila, die sich schon in der Vergangenheit gegen Friedensverhandlungen mit den Aufständischen im Süden ausgesprochen hatten.

Der Konflikt in Mindanao hat tiefe Wurzeln: „Moros“ (Mauren) nannten die spanischen Herrscher schon vor über vierhundert Jahren die muslimischen Bewohner des Südens, die sich ihrer Missionierung widersetzten. Den Keim für die Aufstände legten jedoch die US-amerikanischen Kolonialherren in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts und später die Marcos-Diktatur: Denn sie vergaben Bodenrechte, die traditionell im Besitz der alteingesessenen Clans waren, an Großgrundbesitzer aus dem christlichen Norden und multinationale Plantagenunternehmen. Den Widerstand der lokalen Bevölkerung gegen den Landraub bestraften Regierungstruppen und Privatarmeen der neuen Besitzer mit großer Brutalität.

Während die größte der Rebellenorganisationen, die Moro National Liberation Front, 1996 die Waffen niederlegte, hielt die radikalere MILF an ihrem Kampf fest. In den letzten Jahren hat die Gruppe nach Berichten starken Zulauf von Jugendlichen erhalten, die der Arbeitslosigkeit in dieser ärmsten der philippinischen Regionen nicht entfliehen können und sich von der Zentrale in Manila verraten und verkauft fühlen.

Anders als die Abu-Sayyaf-Gruppe hat die MILF-Truppe auch bei vielen muslimischen Geistlichen und Bewohnern einen Ruf als Kämpfer für ein besseres Leben in einem unabhängigen islamischen Staat. Der Aufruf zum „Jihad“ könnte sich allerdings als Bumerang erweisen, da man sich damit die Sympathien bei der von der Gewalt zermürbten Bevölkerung verscherzt. Inzwischen haben Sprecher der MILF-Gruppe erklärt, ihre Anschläge richteten sich „nur gegen militärische Ziele oder Regierungseinrichtungen“. Für den kleinen Ariel, der am Wochenende starb, ist es allerdings egal, ob die Bombe vielleicht für eine Polizeistation in der Nähe des Marktes gedacht war. JUTTA LIETSCH