Jazz statt Rohkaffee

■ Bremer Labels, Teil 2: Im Schnoor wird nicht nur Kuchen für TouristInnen produziert, sondern seit elf Jahren auch Jazz für Feinschmecker – bei Laika Records. Hauptverantwortlich für das exklusive Programm ist Peter Cronemeyer

Die Globalisierung ist auch an der Musikindustrie nicht spurlos vorübergegangen. Supergroße La-bels fusionieren mit supergroßen Internetfirmen, um sich auf die bevorstehenden Kriege um den digitalen Musikkonsum vorzubereiten. Leute wie David Bowie ersetzen längst musikalische Innovation durch eine ökonomische: Jüngst ging er mit seinem Musikverlag inklusive angeschlossener Bank („BowieBanc“) an die Börse, als sei Musik dasselbe wie ein Fußballverein, was 50 Millionen Mark in seine private Geldbörse spülte, einfach so. Nichtsdestotrotz, sie existiert weiter: Die Vielfalt jener wunderbaren Zwergen-Labels, wo Musik-Afficionados unter hohem persönlichen Einsatz Scheibe um Scheibe realisieren. Selbst in Bremen. Hier eine kleine Reihe: Nach Swamproom-Records stellen wir das Jazz-and-more-Label Laika Records vor.

Combos in der Tradition klassischen Jazz' gibt es in Deutschland massenhaft wie Notenberge in einem John-Coltrane-Solo, mindes-tens. Nur angegraute Bluesmusiker erfreuen sich noch größerer Verbreitung. Major-Labels haben längst vor so viel Masse kapituliert. Und so haben junge Jazzkapellen kaum Chancen hervorzustechen. Kennen Sie eigentlich eine deutsche Jazzgröße unter 60 Jahren? Deshalb bemüht sich das kleine Laika-Label seit elf Jahren – erst in Bielefeld, seit sechs Jahren in Bremen – Rosinen im Teig aufzuspüren und zu pushen. Man ist auf der Suche nach „Unerhörtem“, wie Peter Cronemeyer, seit 1994 Hauptverantwortlicher der Programmkonzeption, das nennt. Daneben geht es um das Bewahren des traditionellen Jazz in hoher Qualität.

Cronemeyers Domizil für Arbeit und Leben ist ein putzigkleines Häuschen am putzigkleinen Stavendamm-Platz im putzigkleinen Schnoor im putzigen Bremen im putzigen Deutschland im .... Und trotz so vielen Putzes steht Cronemeyer mit dem ganzen Erdkreis in Verbindung. Doch manchmal ist diese Sache mit dem Erdkreis eine überaus lästige Angelegenheit, auch wenn das in Zeiten des Internets wieder kein Schwein hören will. Aber für Cronemeyer bedeutet das Arbeit. Zwischen 50 und 100 Demo-CDs und -kassetten trudeln jede Woche bei ihm ein, aus Frankreich, der USA, Japan – nur die MusikerInnen von den Seychellen und Island haben bislang noch nicht den Weg ins Schnoor gefunden.

Wie finden die Leute nur die Adresse? Ganz einfach. Laika hat nicht nur einen Vertrieb in Deutschland (Zomba alias Rough Trade), sondern auch welche in Taiwan, Malaysia etc. Und die schalten in den dortigen Jazz-Magazinen Laika-Anzeigen, inklusive Anschrift. Diese Musikberge wollen gehört werden, jedes Demotape zumindest teilgehört, und wenn die MusikerInnen anrufen – „Na, wie war's denn ...?“ – dann kriegen sie fachkundiges Feedback; das ist noch die blitzsaubere Jeder-Brief-wird-beantwortet-Ethik der Bravo-Leserbriefseite. Am Ende muss die aussortierte Musik noch bei Bekannten oder beim Offenen Kanal abgeladen werden – soll ja nichts gänzlich ungehört bleiben.

Die Chancen, bei Laika unterzuschlüpfen, sind etwa so groß wie auf der Bürgerpark-Tombola, den 5er-BMW abzuzocken. Denn Laika produziert pro Jahr nur 15 bis 20 CDs. Auch wieder eine Frage der Moral. Denn bei Laika herrscht natürlich das gute, alte Galeristen-Verleger-Label-Gesetz: Wir setzen uns für unsere KünstlerInnen mit Haut und Haaren ein, auch wenn die Welt ihre Genialität erst nach der fünften Ausstellung/CD/Buch zu erkennen gewillt ist. Deshalb hält Laika vielen MusikerInnen die Treue über Jahre hinweg, etwa Al Foster (der frühere Schlagzeuger von Miles Davis, einer von mehreren „Sidemen“ berühmter Männer im Laika-Programm) und dem 73-jährigen Trompeter Benny Bailey.

Apropos Genialität: Den richtigen Überflieger zum Millionenabräumen gab's bei Laika noch nicht. Immerhin kann Deborah Henson-Conant, „die Nummer Eins der Jazzharfe“ laut Label-Info, pro CD mit 10.000 Verkäufen rechnen. Aber sind nicht sowieso jene 50 CD's von den Bremer Blaumeiern, die Laika in Taiwan vertickt, irgendwie viel viel wertvoller als alle Massenverkäufe?

Auf drei Wegen findet Laika zu ihren Künstler: über Demo-Tapes, über Empfehlungen von FreundInnen, und außerdem ist Cronemeyer eifriger Besucher von Jazz-Festivals: in Leverkusen, Kempten, Barcelona, Athen, Istanbul und und und. Weitere gute Adressen für Neuentdeckungen sind für ihn die Düsseldorfer Jazzralley oder der Berliner Club A-Trane. Und manchmal entdeckt man Geeignetes sogar vor Ort. Und so erschien bei Laika die vierte CD der nun auch schon zehn Jahre alten „Swim two birds“, die mit ihrem ulkig-punkig-raffiniert-gebrochenem Jazzding aus dem sonstigen Labelprogramm hervorstechen.

Gegründet wurde das Label 1989 vom Jazzgitarristen Ulli Bögershausen. Der ist nach Bielefeld verzogen und managt von dort den Musikverlag. 1994 stieß Cronemeyer dazu. Er hat ein Diplom als Ökonom in der Tasche, aber „wenig Lust über Verpackungsgrößen bei Rohkaffee oder Versandprobleme bei Radmuttern“ nachzudenken. „Im Musikgeschäft bin ich meiner Bauchwelt am nächsten.“ Aber dem Kalkulieren keineswegs entkommen. Auflagenhöhe bei Laika ist 1.-10.000 Stück.

Bringt die Combo die Roh-CD nicht mit, sind für Laika 11.000 Mark für das Aufnahmestudio fällig. Die Produktion von 1.000 CDs kostet inklusive Nachabmischen, Grafik, Booklet 6.-11.000 Mark. Die Gewinnmarge für Band und Label bei kleiner Auflage kann man sich ausrechnen. Und so konstituiert sich das Programm aus stetem Abwägen von Anspruch und Gewinnerwartung. Pro Monat kann man für Anzeigen weltweit gerade mal 5.000 Mark locker machen. In Deutschland schaltet Laika vor allem in der Zeitschrift Jazzthing. Deshalb finden sich dort deutlich mehr Laika-Rezensionen als im Konkurrenzblatt Jazzthetik. „Alle werden es leugnen, aber wo man keine Anzeigen schaltet, wirst man nicht besprochen. Das gilt natürlich nicht für die großen Magazine wie Musikexpress oder Rolling Stone.“ Satte 300 CDs gehen bei jeder neuen CD umsonst als Promomaterial an JournalistInnen raus. Stand zu Beginn auf der Fahne groß und breit deutscher Jazz, so öffnete sich das Label in den letzten Jahren: Nun gibt es auch australischen Jazz, Weltmusik, Singer/Songwriter und sogar Klassik-Avantgarde. Für den zwischen Jazz und E schwebenden Josep Balanya, Pianist und Komponist u.a. für Schreibmaschinentastatur, wirbt der Katalog etwas reißerisch unter dem Logo „Der entfesselte Katalane“.

Cronemeyers Job ist a) arbeitsintensiv, b) unsicher, c) nicht gerade toplukrativ. Trotzdem möchte er es nicht missen: das Organisieren von Konzerttourneen, die Pressearbeit, den Rechnungsquatsch am PC und nicht zuletzt das ganze Geplaudere mit interessanten KünstlerInnentypen, das der Job mit sich bringt. So muss es sein. Vor der neuen Technologie ist ihm übrigens nicht Bange. Cronemeyer sieht im Internet und MP3 eine Chance, Minderheitenmusik bekannt zu machen, auch jenseits der gigantischen Werbeetattöpfe der Majorlabels. bk

Kontakt: Stavendamm 16, 28195 Bremen; Programmübersicht unter www.laika-records.com