Campen mit Kuh

Wiedervereinigung bizarr im Freiluftkino: „Tolle Lage“

Es ist die größte Loserversammlung unter Gottes Sonne. Typen, so träge und abgebrüht, so desillusioniert und unrasiert, wie es sie eigentlich nur in drittklassigen Italowestern geben kann. Oder auch auf einem Campingplatz an der deutschen Ostseeküste.

Es ist der Jahrestag des Sparwasser-Tores gegen die BRD. Um den Triumphtag (WM 74) gebührend zu feiern, hat einer dieser Irren, der vielleicht noch ein bisschen irrer ist als die anderen, im Wald eine Sparwasser-Tormaschine gebaut – eine bizarre DDR-Variante der Torwand des aktuellen Sportstudios inklusive Gejubel der Ostfans.

An der Mauer des Empfangshäuschens prangen ja auch noch die realsozialistischen Kampfgemälde. Inzwischen ist der ehemals volkseigene Zeltplatz allerdings von einem Ex-Bundeswehroffizier übernomen worden, der überlagerte Nato-Kekse an die Bewohner verscherbeln will. Auch die Bild-Zeitung hat im Wohnwagenbiotop Einzug gehalten, und überhaupt deutet in „Tolle Lage“, dem Regiedebüt des dffb-Absolventen Sören Voigt, einiges auf eine deutsch-deutsche Campingkatastrophe hin.

Die Zeichen stehen auf Aufruhr: Die vietnamesische Platz-Aushilfe Pit Sun hat keine Lust mehr, sich vom despotischen Platzwart Ralf herumkommandieren zu lassen. Und der spießige Bankangestellte Claus entdeckt den Kapitalismus auf ganz eigene Art: Er überfällt die eigene Filiale und quält seinen Chef. Die ohnehin schon wilde Kamera weiß sowieso schon nicht mehr, wo sie hinschauen soll, und als dann noch verdiente Stammgäste des Platzes verwiesen werden, gerät die „Tolle Lage“ gänzlich aus der Balance.

Natürlich braucht es für einen Camping-Western einen ordentlichen Showdown. Für den hat Regisseur Sören Voigt eine DDR-Schlagerlegende wieder entdeckt: Auftritt Michi Fanselow, der trotz seiner coolen Star-Sonnenbrille nichts von der erstaunlichen erotischen Wirkung auf seine weiblichen DDR-Fans (Ostseezeitung: „auf Grund seiner sportlichen Ausstrahlung“) verloren hat. Ein Grillfest in der lauen Sommernacht, die besten Hits von Fanselows 70er LP „Als ich ging“ im Livekonzert, ein heißer Blick zu Bankräubers Ehefrau Natascha – und das Melodram nimmt seinen Lauf.

Dass im folgenden schrecklichen Tohuwabohu noch eine Kuh dran glauben muss, ist nicht weniger dramatisch als ein Menschenmord, zeugt aber von Voigts weiser Einsicht in die Stimmigkeiten eines deutschen Genrefilms. Schräger hat die Wiedervereinigung auf der Leinwand nie ausgesehen.

KATJA NICODEMUS

„Tolle Lage“. Regie: Sören Voigt. 78 Minuten. Heute Abend, 21.45 Uhr Freiluftkino Friedrichshain