Freunde der Schande

Wahre Lokale (29): Das halbseidene und halbwollige „Friend’s Corner“ in Nairobi

Einmal die Woche laufe ich mindestens am „Friend’s Corner“ vorbei. Meistens wenn ich ins Flora-Restaurant „Mutton Biriyani“ oder „Special Dry Kima“ (Gehacktes von der Ziege mit Nelken, Zimt, Kardamon und Koriander) essen gehe. Um die Mittagszeit plärrt dort dann schon laute Musik aus dem Eingang, und ein Gewimmel von leicht bekleideten Mädchen und halbseidenen Gestalten schwenkt Bierflaschen über dem Kopf. Ich glaube bestimmt, dass es einen Grund gibt, dass das „Friend’s Corner“ dort ist, wo es ist, und dass es eine spezifische Funktion hat: mich zu prüfen, anstatt am Nachmittag zum Schreibtisch zurück- hier einzukehren und mich für den Rest des Tages mit den fröhlichen Freunden zu betrinken.

Aber ich gehe nie hinein und kehre frisch gestärkt, widerstanden zu haben, zur Arbeit zurück. Freiwillig war ich nur einmal drinnen. Nachts, als ich Khat gekaut hatte, alles schon zuhatte und ich nicht schlafen konnte. Um die Zeit war es vergleichsweise leer. Und meine Tischnachbarin hat mir, ohne zuvor ein Wort an mich gerichtet zu haben, völlig unvermittelt in den Schritt gefasst.

100 Meter zur Hauptstraße, der Moi Avenue, ist das Odeon-Kino, notorisch bekannt dafür, dass die Non-Stop-Show eines zumeist alten Hollywood-Action-Films allerlei lichtscheues Gesindel anzieht, das für ein paar Stunden nicht gesehen werden darf. Eben so weit südlich ist die River Road, Nairobis Amüsiermeile für den leeren Geldbeutel, die der kenianische Schriftsteller Meja Mwangi in einem Roman verewigt hat. Und das „Friend’s Corner“ wird der Nachbarschaft vollauf gerecht: Kaufen kann man dort Bhangi (Gras), bräunliches Heroin aus Pakistan und an einem Stand unmittelbar davor Miraa (Khat). Die grünen Zweige werden in Kenia offen und legal vertrieben. Das Stammpublikum setzt sich neben der heruntergekommenen, jugendlichen Prostituierten aus Halbweltgestalten, dem vereinzelten Inder, der Schande auf sich geladen hat – wenn er in „Friend’s Corner“ geht, hat er in seiner Community ganz sicher Schande auf sich geladen! – und Touristen – meistens japanische – zusammen. Ich bin sicher, dass die Letzteren sich völlig bewusst sind, wo sie hineingehen; wegen der Exotik in der Exotik sicher! Seit ich japanische Touristen allerdings in den letzten beschissenen Nestern in Afrika angetroffen habe, in die ich ganz sicher nicht freiwillig gegangen bin, habe ich gelernt, vor ihnen den Hut zu ziehen.

Die Einrichtung im „Friend’s Corner“ ist sachlich-funktional gehalten. Aus am Boden festgeschraubten, rot lackierten Metalltischen wachsen jeweils acht fest mit ihnen verbundene Stühle heraus. Die Speisetafel über dem Barkeeper-Käfig, auf der Samosas, Chicken Thikas und andere Leckereien angepriesen werden, erinnert an bessere Zeiten, als der Legende nach das „Friend’s Corner“ einmal zu einem Hotel gehört haben soll. Zu essen kriegt man dort nichts, neben Tusker-Bier aus der Flasche überhaupt nur kleine, wenig vertrauenserweckend aussehende Flaschen, offenbar mit Likör. Der Barkeeper trug, als ich neulich zum ersten Mal am Nachmittag da war, eine wollene Integralschimütze, wie sie sich europäische Kinder typischerweise nur sehr widerwillig aufsetzen lassen. Der Rundum-Schutz, sagte er, ist nötig, weil es hier verdammt zugig sei, und verwies gleichzeitig auf einen nur durch ein Gitter abgetrennten Raum mit Bauschutt neben sich, von dem aus man den Himmel sehen konnte. Trotz der 20 Grad (Celsius) draußen habe ich die Begründung akzeptiert, denn die Kenianer trinken auch ihr Bier und ihre Limonade warm, weil sie von gekühlten Getränken Halsschmerzen bekommen! An unserem Tisch lümmelten sich, unmittelbar nachdem unsere Hintern die Sitzfläche berührt hatten, schon drei junge Frauen, denen wir ein Tusker kaufen mussten. Eine hatte noch von der letzten Nacht im „Florida“ den Goldstaub um die Augen. Das „Florida“ ist jener Ort in Nairobi, an dem der sexuell frustrierte, weiße Expatriat mit der finanziell frustrierten Kenianerin die vorstellbar symbiotischste Geschäftsbeziehung eingehen kann. Nun schien die Frau betrunken, müde und ein sicherer Fall für die Bank, die zu diesem Zweck im Gang zur Toilette aufgestellt ist. Das „Friend’s Corner“ ist 24 Stunden geöffnet. Und nach ein paar Stunden Schlaf wird dann sicher schon wieder der Dienst im „Florida“ rufen. Geschlossen war das „Friend’s Corner“ im Übrigen während der fast drei Jahre, die ich nun daran vorbeilaufe, nur einmal, als zum COMESA-Treffen eine Menge afrikanische Staatschefs in Nairobi erwartet wurden. Der Fairness halber muss man jedoch hinzufügen, dass den auf einmal streng gewordenen hygienischen Vorschriften für ein paar Tage auch noch ganz andere Lokale zum Opfer fielen.

PETER BOEHM

Hinweis:Kenianer trinken ihr Bier warm, weil sie von gekühlten Getränken Halsschmerzen bekommen