Keiner glaubt an die Orangenplantage

Unterhändler: Rebellenchef bekommt für die Freilassung Wallerts Entwicklungshilfe. Deutsche Regierung schweigt. Kritik aus Frankreich

von LUKAS WALLRAFF

Die Bundesregierung bleibt dabei: Auch einen Tag nach der Freilassung von Renate Wallert gab es gestern „keinen Kommentar“ zu der Frage, ob für die Göttinger Lehrerin Lösegeld bezahlt wurde. Wallert war am Montag nach drei Monaten Geiselhaft auf den Südphilippinen freigelassen worden und ist gestern nach Göttingen zurückgekehrt. Ihr Gesundheitszustand ist nach Angaben des Chefarztes der Notaufnahme der Göttinger Universitätsklinik „erstaunlich gut“.

Aus Rücksicht auf die 37 Geiseln, die weiter auf Jolo festgehalten werden, will die Bundesregierung voerst nichts sagen – weder zum Stand der Verhandlungen noch zu den Spekulationen über Lösegeldzahlungen für Wallert. „Erst wenn alle freigelassen sind, werden wir uns äußern“, erklärte ein Sprecher von Bundesaußenminister Joschka Fischer.

Man vertraue dem philippinischen Unterhändler Robert Aventajado, der die Verhandlungen mit der muslimischen Rebellengruppe Abu Sayyaf führt, so der Sprecher. Um seine Arbeit nicht zu behindern, gebe es keinen weiteren Kommentar.

Kein Kommentar bedeutet eben auch kein Dementi – deshalb muss die Regierung weiter zulassen, dass immer wildere Spekulationen und widersprüchliche Meldungen verbreitet werden. Aventajado bekräftigte gestern, dass kein Lösegeld für die Freilassung von Wallert gezahlt worden sei. Er habe aber Rebellenchef Galib Andang zugesichert, dass Hilfe zur Anlage einer Orangenplantage auf seinem Land in Erwägung gezogen werde. Aus philippinischen Polizeikreisen hieß es dagegen erneut, dass etwa zwei Millionen Mark gezahlt worden seien.

Die Eltern der französischen Geisel Sonia Wendling äußerten unterdessen deutliche Kritik an der Verhandlungsführung. „Natürlich freue ich mich für sie (Wallert)“, sagte Wendlings Vater. Gleichzeitig sei er aber enttäuscht, da man ihm drei Monate lang versichert habe, dass nicht über die Freilassung Einzelner verhandelt werde. Er sorgt sich nun um den Zusammenhalt der auf Jolo Verbliebenen: Alle würden nun versuchen, ihre eigenen gesundheitlichen Probleme in den Vordergrund zu stellen.

Welche Aussichten die verbliebenen Geiseln haben, blieb weiter ungewiss. Nach Berichten malaysischer Vermittler sollten am Montag auch sieben Malaysier freigelassen werden. Im letzten Moment hätten die Entführer jedoch ihre Lösegeldforderungen erhöht.

Unterhändler Aventajado macht zumindest den verbliebenen weiblichen Geiseln Hoffnung: Die vier Frauen, die gemeinsam mit Wallert an Ostern entführt worden waren, würden „vermutlich schon bald“ freikommen.

Die Unklarheit über das mögliche Lösegeld für Wallert nährt natürlich auch die Spekulationen, wonach die Entführer ihre Forderungen weiter erhöhen könnten. Laut Aventajado fordern sie „Entwicklungshilfe“. Nach anderen Angaben besteht Kommandeur Andang aber auf der Zahlung von rund zwei Millionen Mark pro westliche Geisel – also genau die Summe, die für Wallert gezahlt worden sein soll.