Kein Muslim ist ihr heilig

aus Wuppertal ANNETTE KANIS

In Deutschland geboren vor 47 Jahren, den Islam mit Anfang 30 für sich entdeckt, seither Kopftuch, fünfmal am Tag beten, kein Schweinefleisch, kein Alkohol. „Das ist alles“, sagt Ulrike Thoenes, und es klingt , als ob sie sich irgendwann einfach für Tee mit Zucker statt Milchkaffee entschieden hätte. Dann klingelt eben morgens um vier der Wecker, damit das erste Gebet wie vorgeschrieben eineinhalb Stunden vor Sonnenaufgang stattfinden kann. Dann halten Fremde sie in der Schule eben für die Putzfrau, weil eine Konrektorin mit Kopftuch gewöhnungsbedürftig ist. Dann erklärt sie eben noch einmal, dass der Islam frauenfreundlich ist, die Männer die ganze Sache nur falsch auslegen.

Brückenfunktion per se

Behäbige Sessel drängen sich um den runden Couchtisch. Spitzendeckchen, Plätzchenschale, Blumenstrauß. An den Wänden Stiche von Hamburg und Lübeck. In der braunen Schrankwand ist Platz für „Allah ist mit den Standhaften“ und die anderen Werke von Peter Scholl-Latour, die Chronik des Ruhrgebiets und das Wuppertaler Bürgerbuch. Schwere rote Vorhänge rahmen die Fensterfront ein. Die Wanduhr tickt. Hier, in dem Haus ihrer Eltern im gediegenen Wuppertal -Wichlingshausen, nicht in Berlin-Kreuzberg, hat die Frauenbeauftragte des Zentralrats der Muslime in Deutschland ihren Arbeitssitz.

Eine Brückenfunktion das Amt, eine Brückenfunktion die Frau. „Jetzt fragen Sie nicht, warum gerade ich – ich nehme an, weil ich deutsch und muslimisch bin.“ Ulrike Thoenes sitzt aufrecht in dem großen Sessel, die Beine übereinandergeschlagen, nur manchmal wippt sie mit dem Fuß in den Birkenstocks. Die Arme lösen sich aus der Verschränkung, wenn es gilt, Nachdruck zu zeigen. Dann zeigt die sonst Beherrschte auch mal einen Piepvogel. Etwa wenn sie über den Kopftuchstreit redet, darüber, dass vor drei Jahren der kopftuchbekennenden muslimischen Lehramtsanwärterin Fereshta Ludin die Stelle verwehrt wurde. „Religionsfreiheit beinhaltet nun mal auch nach außen gerichtete Tradition.“ Und zu dieser Tradition steht Ulrike Thoenes. Nur Gesicht und Hände sind unbedeckt. Das weiße Kopftuch sitzt fest und lässt keine Haarsträhne frei, die hellblau gemusterte Bluse ist hoch geknöpft. Jeans ersetzen den bodenlangen Rock. Kopftuch ja, Unterdrückung nein.

Für Ulrike Thoenes eine Selbstverständlichkeit, für manchen Muslim nicht. „Viele Männer leben doch leider immer noch nach dem Bild: ,Halt deine Frau dumm und schwanger‘“, sagt sie. Dieses männliche Motto zu brechen ist ihr Ziel. Und wähnt dabei – wenn schon nicht die Männer – dafür den Koran hinter sich. Den hat sie ausführlichst studiert und schaut immer wieder in die CD-ROMs mit dem Stichwortregister, um all die Anfragen auch religiös fundiert beantworten zu können, die sie per E-Mail, Fax, Telefon oder per Post erreichen. Etwa die Anfragen von Studentinnen und Doktorandinnen zur „Stellung der Frau im Islam“. Oder von Lehrerinnen und Lehrern, weswegen Ulrike Thoenes stets weiß, an welchem Gymnasium gerade der Islam durchgenommen wird.

Und die Probleme der Muslime selber: Ärger im Beruf wegen des Kopftuchs, Fragen zum Sportunterricht für Mädchen, Klärungsbedarf bei Eheproblemen, Nachhaken zu Familientraditionen. Das Thema Zwangsheirat zum Beispiel. Hier wandte sich die Lehrerin eines Mädchens, das verheiratet werden sollte, an die Frauenbeauftragte. Mit ausführlicher Erklärung schrieb sie, dass Zwangsheirat eigentlich verboten sei. Wie die Sache ausging? Familienpatriarch bekehrt, Tochter gerettet? Der Kommentar der Frauenbeauftragten: „Jemand, der nicht belehrt werden möchte, den kann ich auch nicht belehren.“ Bestimmt sagt sie das, resignativ klingt anders. Schutzhaltung angesichts Männerübermacht? „Ich hatte noch nie Probleme mit muslimischen Männern.“ Auch dieser Satz klingt bestimmt.

Betonte Unabhängigkeit

Ulrike Thoenes betont gerne ihre Unabhängigkeit. Mit den Oberen im Zentralrat der Muslime scheint sie gut klarzukommen. Ihre traditionelle Frömmigkeit wird ihr dabei helfen – und das Beharren auf Frauenrechten im muslimischen Sinne. So erreichen Ulrike Thoenes auch immer wieder Fragen zum Ehevertrag. Den kann jede Muslimin von ihrem zukünftigen Ehemann einfordern. Die Frauenbeauftragte hat hier einen zehnseitigen Mustervertrag erstellt – ausführliche Passagen zur Gütertrennung, Monogamie, Kindererziehung, Berufstätigkeit. Er liest sich, als ob Alice Schwarzer sich Gedanken über Regelungen in der Ehe gemacht hätte.

„Emanzipation – dieses Wort hasse ich.“ Ulrike Thoenes verschränkt die Arme noch fester vor dem Oberkörper. „Als Frau will ich gar nicht alle Rechte der Männer, weil ich dann auch alle Pflichten hätte.“ Von Gleichberechtigung will Ulrike Thoenes nichts wissen. Gleichwertigkeit, dieser Begriff ist ihr lieber. So sieht es auch der Islam. „Mit der Emanzipation haben Frauen die Doppelbelastung doch gleich mitgepachtet – im Beruf so gut wie die Männer, bei der Kindererziehung weiterhin ohne männliche Rückendeckung.“

Ihr Ziel: Gleichwertigkeit

Diesen Weg hat Ulrike Thoenes nicht eingeschlagen – geschieden, ohne Kinder, beruflich etabliert, sucht sie da lieber gesellschaftliche Zusammenhänge. Und erinnert sich an ihre Schulzeit in den Sechzigern. Bis zur zehnten Klasse war sie auf einer reinen Mädchenschule. Der Endspurt zum Abitur erfolgte dann mit 6 zu 850, so sah das Zahlenverhältnis der Schülerinnen zu den Schülern aus. Wenn Ulrike Thoenes vom Sportunterricht erzählt, schwingt ein wenig Trotz und auch Verbitterung mit. „Ich habe es gar nicht nötig, so schnell zu laufen wie die Männer“, sagt sie.

Gleichwertig, nicht gleichberechtigt. Islam, nicht Grundgesetz. Ulrike Thoenes baut ihr Bild der Geschlechterverhältnisse auf einem gänzlich anderen Hintergrund als so manche Frauenbeauftragte der Kommunen. In der Praxis unterscheiden sie sich weniger. Beide müssen ankämpfen gegen verkrustete Strukturen und eingefahrene Gedanken. Wenn Ulrike Thoenes zum Beispiel von einer Lehrerin zu Rat gezogen wird, weil der Vater einer marokkanischen Schülerin nicht möchte, dass die Tochter eine weiterführende Schule besucht – sie heiratet ja sowieso und bekommt Kinder. Dann anwortet Ulrike Thoenes islamisch korrekt: „Es ist eine religiöse Pflicht, sich Wissen anzueignen, und dazu gehört auch eine gute Ausbildung. Außerdem ist es religiöse Pflicht, alle Kinder, ob Junge oder Mädchen, gleich zu behandeln.“

Ob ihre wohlformulierten Überzeugungen Wirkung zeigen, weiß Ulrike Thoenes nicht. Aber sie bemüht sich. Auf der muslimischen Seite, allgemeine Traditionen nicht mit islamischer Fundierung gleichzusetzen. „Mädchen sollen nicht studieren, weil es im Dorf immer schon so war. Das wird dann fälschlicherweise mit islamischer Tradition gleichgesetzt.“ Und sie bemüht sich auf der deutschen Seite. Um Toleranz gegenüber dem Islam, ein Aufeinanderzugehen der Religionen. Von Reportern wird Ulrike Thoenes oft gefragt, ob sie die Alibifrau für den Islam sei. Sie antwortet dann, vermutlich wie auch jetzt mit einer leichten Lehrerinnen-Strenge in der Stimme: „Nicht der Islam braucht die Frauenbeauftragte, sondern die muslimischen Frauen, die von Männern unterdrückt werden.“ Die Religion ist ihr heilig, die Männer weniger.