Die Gebrüder Barfuß & Lackschuh

Viele Gemeinsamkeiten werden Gerhard Schröder und Tony Blair nachgesagt. Eines trennt sie jetzt: der eine ist im Aufwind, dem anderen geht’s dreckig
von SEVERIN WEILAND

Im Willy-Brandt-Haus in Berlin liest man dieser Tage besonders gerne die Zeitungen. Die Partei und ihr Vorsitzender, Gerhard Schröder, stehen so gut da wie noch nie seit Regierungsantritt.

Doch von Übermut, der aus einer solchen Lage leicht entstehen könnte, ist in der Zentrale nichts zu spüren. Man ist vorsichtig mit der Zurschaustellung des Erfolgs, wohl auch, weil man weiß, wie schnell er sich wieder verflüchtigen kann. „Wir haben eine paradoxe Situation“, analysiert kühl Michael Donnermeyer, Pressesprecher der Bundespartei: Die guten Meldungen in den Medien seien die eine Realität. Aber jenseits dieser „gibt es eine andere Wirklichkeit, und da müssen wir feststellen, dass viele Menschen sich durch das Tempo der Reformen noch verunsichert fühlen“.

Die – zumindestens nach Außen getragene – gedämpfte Stimmung entspricht so ganz dem neuen Stil, der mit SPD-Generalsekretär Franz Müntefering in die Zentrale eingekehrt ist. Vorbei scheinen die Zeiten, als Schröder sich selbst mit Anzügen und Havannas inszenieren musste. Heute ist der Erfolg da. Und wie es mit erfolgreichen Menschen zumeist ist, fehlt auch im entsprechenden Augenblick nicht die Portion Glück. Da wird selbst ein Ereignis, zu dem man eher einen bescheidenen Beitrag geleistet hat – wie der unverhoffte Zuschlag für die Fußball-WM – irgendwie auch dem Kanzler zugeordnet.

Es ist diese Summe der kleinen und großen Siege, von denen man in der SPD-Zentrale hofft, dass sie in den Köpfen haften bleiben. Am Ende, also bei der Wahl in zwei Jahren, soll das Bild sich gefestigt haben, das Schröder in diesen Tagen abgibt: das eines Machers. Oder, wie es Donnermeyer sagt: „Vor einem Jahr hieß es noch: Schröder kann es nicht. Jetzt hat er gezeigt: Er kann es.“

In der SPD-Zentrale weiß man allzu gut, was es heißt, unten zu sein. Und weil Politik zyklisch gedacht werden muss, blickt man in diesen Tagen einfühlend nach London, wo der britische Premier Tony Blair gerade im Stimmungstief ist. „Schröder rauf, Blair runter, das halte ich für konstruiert“, sagt Donnermeyer. Es sei nun einmal ganz einfach so, dass „wir schon unsere Krise hatten und Blair noch keine“.

Die SPD im Jahr 2000 ist dabei, sich vom Vorbild Blair zu emanzipieren. Zwar hat man erst kürzlich wieder in London auf einer Tagung sozialdemokratischer Parteien über moderne Wahlkampfführungen gesprochen. Die Zeit aber, da der britsche Premier der große Stichwortgeber war, scheint endgültig vorbei. Als Blair kürzlich auf einer von Kanzler Schröder moderierten Konferenz von Staatschefs in Berlin fehlte, fiel das kaum noch ins Gewicht. Fast schon vergessen ist die Aufregung, die vor über einem Jahr das Schröder/Blair-Papier auslöste, in dem der Sozialdemokratie anheim gegeben wurde, „nicht nur für soziale Gerechtigkeit, sondern auch für wirtschaftliche Dynamisierung“ zu stehen. Das hat auch nicht zuletzt mit personellen Veränderungen zu tun. Im Rückblick wird erst deutlich, wie wichtig es für Schröder war, Bodo Hombach, damals noch Kanzleramtsminister, in die EU abzuschieben. Nicht zuletzt Hombach, Mitverfasser des umstrittenen Papiers, hatte die Unruhe der Linken auf sich gezogen und an den Kanzler weitergeleitet. Nun ist Frieden eingekehrt. Von der Linken droht Schröder keine Gefahr. Sie hat mit dem Rücktritt Lafontaines nicht nur ihren wortgewaltigsten Repräsentanten verloren. Der Erfolg, den Schröder verkörpert, will auch sie genießen. Schröder hat die Linke mit sich versöhnt – zumindest bis zur nächsten Krise.

Das Modell Schröder ist auch das Modell der parallelen Handlungen. Oben und unten verbindet er scheinbar spielerisch. Während der Haushalt gekürzt wird, gelingt es ihm, die Sehnsucht der traditionellen Sozialdemokratie nach staatlichem Einfluss mit großer Geste und einem handfesten Ergebnis zu befriedigen. Erstaunt verfolgten seine Kritiker, wie der so beschimpfte „Kanzler der Bosse“ in der Rolle eines klassischen Gewerkschaftsführers den Bauriesen Holzmann vor dem Konkurs rettete. Das verschaffte ihm Respekt und den notwendigen Raum, aus dem er weitere Reformen vorantreiben kann. Und dort, wo sich wie bei der Rentenreform Widerstände abzeichnen, hält die Regie aus dem Brandt-Haus dagegen. Ausgestattet mit Materalien aus der Zentrale, werden die Abgeordneten im August den schwankenden Genossen erklären, warum die Reform der Alterssicherung unumgänglich ist.

Hätte die SPD jedoch einen Dank abzustatten, dann müsste sie zuallererst bei der Union vorstellig werden. Nicht zuletzt die Spendenaffäre goss das Fundament, auf dem Schröder handeln kann. Die Union, so heißt es in der SPD-Parteizentrale selbstkritisch, habe durch die Wahlerfolge in Hessen und Saarland wertvolle Zeit für inhaltliche Klärungen verloren. „Das waren“, sagt Parteisprecher Donnermeyer, „Pyrrhussiege, die sie nicht aus eigener Kraft, sondern aus unserer eigenen Schwäche errangen.“

Hinweis:Hätte Schröder einen Dank abzustatten, dann müsste er zuallererst bei der Union vorstellig werden. Nicht zuletzt die Spendenaffäre goss das Fundament, auf dem er handeln kann