Parlieren mit der Kraft der drei Herzen

Tour de France auf Eurosport: schnelle Beine, hohe Berge und ein Mann, dessen Syntax uns ganz chichi macht.

„Herzlich willkommen liebe Zuschauer, live bei Eurosport. Es ist Sonntag – auch wenn es Dienstag ist – in Frankreich, es ist Radsportfeiertag: Tour de France.“

Ein Feiertag, jawohl, ein Sportberichterstattungsfeiertag, der drei Wochen dauert. Drei Wochen, in denen der Fachmann für Rodeln und Radeln bei Eurosport, Klaus Angermann, täglich live vom härtesten Sportereignis der Welt berichtet. Unterstützt wird er vom ehemaligen Profi-Radsportler Tony Rominger, und das ist ein Segen, weil Radsport eine komplizierte Angelegenheit ist und erst interessant wird, wenn man eine Ahnung von seinen Regeln hat. Ohne die sieht man nichts als einen Haufen Kerle mit rasierten Beinen in engen Leibchen, die fahren und fahren und schwitzen und fahren und am Ende gewinnt der, der zuerst da ist und am meisten geschwitzt hat. Romingers Analysen sind da ausgesprochen erhellend. Er kennt die Fahrer, durchschaut die Strategien der Teams und erstellt kluge Prognosen. Ein Günter Netzer des Radsports, sozusagen.

Auch Herr Angermann muss sich in dreißig Jahren Berichterstattung von der Tour de France fachliche Kompetenz erworben haben. Allein, er lässt es sich nicht anmerken. Seine Mission ist die Emotionalisierung, die vollkommene Ergriffenheit der Zuschauer, ob des Spektakels, das sich ihnen bietet. Und wenn gerade keines da ist, dann kommentiert er es irgendwie hin, mit vor Pathos zitternder Stimme. Als Lance Armstrong, wie allgemein erwartet, nach der ersten Bergetappe das Gelbe Trikot übernahm, hatte Angermann sich noch bei der dritten Zeitlupenstudie des Zieleinlaufs nicht beruhigt: „Die Blicke, der Wille, der herausspringt aus seinem Gesicht, die Kraft, die dieser Körper ausstrahlt und die in ihm steckt, wieder erstarkt in Gelb, in Führung, wird er es noch einmal ausziehen? So, wie wir ihn heute gesehen haben, neige ich dazu zu sagen: Wohl kaum.“ Gefährlich klingt das, und wenn der Wille erst herausspringt, möchte man nicht danebenstehen. Ruhigere Phasen nutzt Angermann nicht etwa, um Hintergrundinformationen zu liefern, sondern um sein Wissen über Ackerbau und Viehzucht geschickt mit dem Renngeschehen zu verbinden: „Hier reift das Korn auf den Feldern vor Revel und es reift die Entscheidung der Etappe.“ Und dann wird es plötzlich ganz eng: „Ich habe drei Herzen in meiner Brust, Jens Voigt, Marcel Wüst und Erik Zabel.“ Was tun? Überhaupt der Erik, der wieder so viel Pech hatte. „Zweiter, wie schon vorgestern, Dritter war er da.“ Wie konnte das passieren? „Ich habe mich hier ein bisschen in der Kontrolle verloren, aber da ist mir der Hut hochgegangen, den ich nicht aufhabe.“ So viel Einsicht hat man bei ARD und ZDF noch nie gezeigt. Deswegen reift in uns die Entscheidung, wie das Korn auf den Feldern, alle Herzen in der Brust wollen nur noch eines, den Hut ziehen, vor dem Willen, der herausspringt, aus den Kommentaren, und so sagen wir nur: Chapeau!

ANNE ZUBER