zwischen den rillen
: Dies ist Sexploitation: Lil’ Kim glänzt in allen Rollen

Im Bett mit dem Camcorder

Lil' Kim trägt an jeder Hand drei Ringe mit dicken Klunkern. An jedem Armgelenk drei Reifen, um den Hals ein Kreuz mit noch mehr Steinen – und wenn sie sich auf dem Sofa räkelt, sieht man, dass sie über ihre Brustwarzen auch ganz viele teure Steinchen verteilt hat. Ihre Nase ist kleiner als noch vor ein paar Jahren, ihre Brust größer und ihr Haar blond. Die Königsbiene des HipHop ist zurück.

Dies ist Sexploitation. Ein Film mit Lil' Kim in praktisch allen Rollen – der universale Gender-Crossover inklusive. Sie spielt nicht nur die Rollen des Hustlers und der Bitch, sie ist auch eine schwarze Frau, die sich stylt, als sei sie eine der reichen Ladys aus der New Yorker Upper East Side, bezieht sich dabei wiederum auf die kulturellen Techniken schwarzer Transvestiten. Sie steht also genauso für das Gucci-tragende Model, wie für die Fake-Gucci-tragende Stripperin, oder eben für die Studentin, die sich die Auslage des Schaufensters eines Gucci-Ladens anschaut.

Nun ist Lil' Kim nicht nur die Kunstfigur – ihre Biografie ähnelt den klassischen Karrieren afroamerikanischer Blues-Sängerinnen, nur dass die Überlebensstrategien im HipHop das Klagelied des Blues endgültig abgelöst hat. Es geht nicht darum, die Umstände zu beklagen, sondern sich zu holen, worauf man Anspruch zu haben glaubt.

Lil' Kims Eltern trennen sich, als sie noch ein Kind ist, sie wächst bei ihrem Vater auf, mit dem sie sich nicht besonders gut versteht. Irgendwann bleibt sie nachts weg und fängt an, mit den neureichen Hustlern herumzuhängen, die Millionen im Crackhandel machen, dicke Goldketten tragen und Rolls Royce fahren. Sie geht mal mit diesem ins Bett, mal mit jenem, wird betrogen und betrügt. Bis sie eines Tages Biggie Smalls trifft. Der sitzt auf einem Mülleimer und spricht sie an. Der Rest ist Geschichte. Der Mann, der als Notorious B.I.G. bekannt werden sollte, nimmt sie als eines seiner Chicks unter seine Fittiche und produziert zusammen mit Puff Daddy Lil' Kims Debutalbum „Hardcore“. Dann wird er erschossen.

Natürlich verweist auch „Notorious K.I.M.“ auf den Bad-Boy-Übervater. Aber von allen Nachlass-Verwalterinnen ist Lil' Kim die einzige, die jenseits ihres Verhältnisses zu Biggie Smalls noch etwas Eigenes zu vermelden hat. So covert sie den Chicago-House-Klassiker „French Kiss“, sampelt Pat Benatar oder singt mit Grace Jones. Und – es ist ja fast peinlich, es sagen zu müssen, aber wenn eine Frau mit ihrem Körper Politik macht, glauben die einen, das sei genug, weil es sich auch so verkaufe, während die anderen glauben das reiche aus, weil es auch so schon signifikant genug sei – Lil' Kim ist eine begnadete Rapperin. Ähnlich schluderig wie Notorious B.I.G. spuckt sie ihre Verse aus, immer ein kleines bisschen neben der Spur.

Doch kulturwissenschaftliche, musikhistorische und sonstwie rationalisierende Einordnungsversuche einmal beiseite: Hier geht es nicht nur darum, was Sex und Macht miteinander zu tun haben und wie sich das in Repräsentationen niederschlägt. Hier geht es auch einfach so um Sex. Dies ist schliesslich Popmusik: Sex! Es geht darum, dass Lil' Kim ihre Grüße an all die Homies durchgibt, die im Knast sitzen und das gleich mit der Empfehlung verbindet, „Close your eyes / And imagine your tongue in between my thighs“. Krawall in Zellenblock 8. „Dogs do everything for a Lil' Kim poster“. Darum, dass die neue Freundin des Exfreunds ihn nicht liebt, und dass sie kein Ersatz für das ist, was er an Kim hatte: „Does she like it from behind?“ Darum, irgendwelche Niggaz zum Oralsex ins Bett zu zerren – „Just lay me on this bed and give me some head / Got the camcorder laying on the drawer where he can't see / Can't wait to show my girls he sucked“. Darum, dass die meisten Typen es nicht bringen, und dass Lil' Kim, wäre sie ein Kerl, ihnen sagen würde: Suck my dick!

Das sind natürlich alles Phantasien, die schwer machtdurchwirkt sind. Aber, jenseits von Schwarz-Weiß und Arm-Reich – ist das zwischen Mann und Frau nicht immer der Fall? Oder zwischen Frau-Frau, Mann-Mann und all den Schattierungen dazwischen? Gibt es etwa Bettgestelle, die nicht aus Eisen gemacht sind?

TOBIAS RAPP

Lil' Kim: „Notorious K.I.M.“ (eastwest)