Graben nach jüdischer Geschichte

In der Rosenstraße legen Bagger die Fundamente der wohl ältesten Synagoge Berlins frei. Bauverwaltung will die Mauerreste mit Glasplatte abdecken. Archäologen monieren den Einsatz der schweren Maschinen bei der Grabung

Die Grube ist klein. Aber die Erinnerung ist groß. Der Blick fällt in die Fundamente eines alten Gemäuers. Kunst- und Natursteine sind freigelegt und zeichnen den Verlauf des Hauseingangs nach. Stufen einer früheren Treppenanlage führen in die Tiefe. Auf dem ausgegrabenen Kellerboden liegen Scherben in Rot, Grün und Hellblau. Daneben wühlt ein Bagger in der Erde, um weitere Mauerteile freizulegen.

Aus der Grabungsstätte in dem kleinen Park an der Rosenstraße in Mitte werden seit Tagen die Reste einer früheren Synagoge herausgefiltert. Bedeutsam ist die Freilegung deshalb, weil Dokumente der Jüdischen Gemeinde belegen, dass es sich bei den Fundamenten wohl um die Spuren des ältesten jüdischen Gotteshauses in Berlin handelt. Bis zum Herbst dieses Jahres hofft die Senatsbauverwaltung die Grundmauern vollständig freilegen zu können. Danach soll eine Glasplatte die tiefen Fundamente abschließen und Besuchern den Blick in die Gemäuer ermöglichen.

Die Ausgrabung, Sicherung und eine Informationstafel werden laut Bauverwaltung zwischen 30.000 und 60.000 Mark kosten.

Bekannt war seit Mitte der 90er-Jahre, dass zu den Orten jüdischen Lebens, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmer lagen oder ausgelöscht waren, die Fundamente einer alten Synagoge in der einstigen Heidereutergasse und heutigen Rosenstraße gehören, deren Spuren – wie etwa der Friedhof an der Großen Hamburger Straße und andere Institutionen der Spandauer Vorstadt – vergraben sind. Doch erst auf Initiative von Hermann Simon, Direktor der Stiftung Neue Synagoge Berlin, und Andreas Nachama wurden die Dokumente gesichtet und der Ort des einstigen Hauses lokalisiert. Zugleich wurde mit der Bauverwaltung sowie der Denkmalbehörde ein Konzept erarbeitet, wie die Reste zu sichern und zu dokumentieren sind.

„Nach meinen Informationen“, sagt Simon, „wurde um 1712 die Synagoge errichtet“, die als Gotteshaus für die in der Zeit des Großen Kurfürsten nach Berlin gekommenen Juden diente. Unklar sei, zu welcher Zeit die Synagoge geschlossen wurde und Teile des Grundstücks überbaut wurden. Simon vermutet, dass im Rahmen der Erweiterung der Spandauer Vorstadt straßenseitig Gebäude errichtet wurden, die den rückwärtigen Teil des Grundstücks aber nicht überdeckten. Klar sei nur, dass die gesamte Bebauung in den 50er-Jahren abgetragen und die Lücke zur Grünfläche und als Standort für Autos nahe dem Hackeschen Markt umgestaltet wurde.

Dass die Bauverwaltung, speziell die Abteilung Brückenbau, bei der derzeitigen Ausgrabung die Federführung innehat, hat bei Archäologen und Denkmalschützern zu Unmut geführt. So monierten die Archäologen, durch die Freilegung mittels Bagger bestünde die Gefahr, dass wertvolle Sakralgegenstände oder Mauerteile beschädigt werden könnten.

Statt der Baumaschinen hätten zuerst Archäologen mit filigranerem Gerät die Ruinen untersuchen sollen, protestiert Esther Goldstein.

Petra Reetz, Sprecherin der Bauverwaltung, räumt ein, dass die Brückenbauer zwar mit schwerem Gerät, „aber fachgerecht“ mit den Ausgrabungen begonnen hätten. Dennoch sei der gesamte Prozess der Arbeiten von der obersten Denkmalbehörde begleitet worden. Zudem, so Reetz, sei „nicht zu erwarten, dass sich in den Gewölben wertvolle Gegenstände“ oder baukünstlerische Objekte befinden. Außerdem sei verabredet, dass nach der jetzigen Freilegung die Rudimente von Experten auf archäologische Besonderheiten untersucht werden könnten.

Für Reetz geht es noch um etwas anderes: Mit der Ausgrabung soll ein weiteres Zeugnis jüdischer Geschichte „möglichst schnell und bescheiden“ gesichert werden. Die alte Synagoge in der Spandauer Vorstadt diene der Erinnerung an einem Teil der Stadt, der bis zur Nazizeit „wie andere Orte auch zum Schwerpunkt religösen jüdischen Lebens gehörte“. In Verbindung mit dem nahen Rosenstraßen-Denkmal für die Frauen, die 1943 die Freilassung ihrer verhafteten und zur Deportation bestimmtem Männer erkämpften, bedeute die Freilegung der Synagoge ein Stück „Geschichtsaufarbeitung“. ROLF LAUTENSCHLÄGER