Und sie bewegen sich doch

■ Die Strömungen in der Nordsee treiben die Inseln nach Osten / Volkswirtschaftlich wird ihr Schutz zu einem Problem / Zudem ist die Trinkwasserversorgung bedroht

Ferienzeit ist Reisezeit. Auch die ostfriesischen Inseln wollen weg. Schuld an dieser Lust ist die ungeheure Dynamik der Nordsee. Die schwemmt Sand von der West-Seite der Inseln weg. Zusätzlich bedrohen Hochwasser die Touristenburgen. „Das war immer so. Neu sind die finanziellen Dimensionen, die die Küstenschutzmaßnahmen zur Bestandssicherung der Inseln annehmen“, erklärt Frank Thorenz, Betriebsleiter der Betriebsstelle Norden des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft und Küstenschutz (NLWK).

„Mittelfristig müssen wir traditionellen Küstenschutz betreiben. Das sind Aufspülungen, Deichverstärkungen und ähnliches. Längerfristig müssen wir aber Alternativen entwickeln“, so Thorenz jetzt zur taz. Eigentlich regelt der Generalplan Küste den niedersächsischen Küstenschutz für die nächsten 40 Jahre. Die Notwendigkeit schon vorher nach anderen Konzepten zu suchen, sieht auch das NLWK. Aber diese Konzepte liegen einfach nicht vor.

Die Fakten: Alle ostfriesischen Inseln „leiden“ unter den nagenden Strömungen im Wattenmeer. Die transportieren Sand von Holland nach Dänemark. An den Weststränden der deutschen Inseln werden Sandmassen abgerissen, die sich zum Teil an den Osträndern wieder ablagern. Ohne Küstenschutzmaßnahmen würden die Inseln ihre Form verändern. Dieser natürliche Prozess wird verschärft durch zahlreiche manifeste Eingriffe in die Natur. Dazu zählen neben Küstenbegradigungen (Leybucht) und Eindeichungen auch die Vertiefungen von Ems, Weser und Elbe. Um die natürliche Erosion der Inseln aufhalten zu können, wurden schließlich die Inselköpfe einbetoniert. Als das auch nicht viel nutzte, versuchte man durch Aufspülungen und andere Küstenschutzmaßnahmen den jeweiligen Bestand der Inseln zu festigen. Eine Sysiphusarbeit wie sich heute abzeichnet und zudem sehr teuer. Allein im letzten Jahr kostete der Küstenschutz für die Inseln zehn Millionen Mark.

Allen Gerüchten vom sanften Tourismus zum Trotz, findet auf den ostfriesischen Inseln Kampf-Tourismus der besonders harten Sorte statt. Laut Industrie- und Handelskammer für Ostfriesland und Papenburg gab es 1999 8,5 Millionen Übernachtungen auf den Inseln. Dichte Bebauung, Golf- und Flugplätze, Tenniszentren sowie Erlebnisbäder, die Wünsche der Inselgemeinden im Buhlen um Gäste sind unbegrenzt. Und was, um Neptuns Willen, wären die Inseln ohne ihre Strände. Während etwa das Niedersächsische Landesamt für Ökologie Strandaufspülungen ablehnt, meint Frank Thorenz vom NLWK: „Wir machen keine Aufspülungen für den Fremdenverkehr, nur aus Küstenschutzgründen. Wenn diese Maßnahmen dann auch dem Tourismus dienen, können wir das auch nicht ändern.“ Laut NLWK finden aber Strandaufspülungen zum Wohle des Fremdenverkehrs statt. „Die werden aber nicht aus Küstenschutz-Mitteln bezahlt“, so Thorenz.

„Die ständigen Aufspülungen sind sinnlos und schaden der Natur“, schimpft Uilke van der Meer vom BUND in Dornumersiel. Er hätte schon eine Idee, wie alternativer Küstenschutz aussehen könnte. „Aus ökologischen und volkswirtschaftlichen Gründen sollte man gezielt Überschwemmungsgebiete bereithalten. Dies geschieht schon auf Norderney. Auf Juist gäbe es ebenfalls Möglichkeiten. In den Niederlanden wird diese Methode bereits praktiziert. Mehr natürliche Dynamik in unbesiedelten Bereichen zuzulassen, das enstspricht einer Forderung des Nationalparks Wattenmeer“, so van der Meer.

Wie heikel diese Forderung ist, kann auf Langeoog beobachtet werden. Als besonders vom Hochwasser bedroht gilt dort das Pirolatal, so genannt nach einer dort ausgestorbenen Pflanze. Durch künstliche Sandaufhäufungen wurden die Hauptdünen landeinwärts verstärkt. „Das nutzt nichts“, behaupten niedersächsische Küstenschutzexperten. „Das Pirolatal wäre ein mögliches Überschwemmungsgebiet“, greift BUND-Mann van der Meer nach. Aber: Das Pirolatal ist Langeoogs Trinkwassergewinnungsgebiet. 1992 hat die Gemeinde Langeoog ihre Wasserversorgung an den Ostfriesisch-Oldenburgischen Wasserverband abgetreten. Seitdem sind über zehn Millionen Mark in die Sanierung der Wasserversorgung geflossen. Das war auch nötig, denn vor 1992 ist Langeoog, unbemerkt von der Öffentlichkeit, an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Die gastliche Gemeinde hatte Einwohner und Gäste mit verseuchtem Trinkwasser beliefert. Im Langeooger Trink-Mix wurden Coli-Bakterien, Salmonellen und andere Keime gefunden. „Die hatten nicht das nötige Knowhow, um sauberes Trinkwasser herzustellen“, kommentiert Johannes Veith vom Landkreis Wittmund. Erst im Juni diesen Jahres erteilte er die wasserrechtliche Genehmigung zur Trinkwasserförderung für die nächsten 30 Jahre.

Jetzt liegen die Förderbrunnen im Pirolatal. „Wenn sich die Form der Insel verändert, verlagert sich auch die Süßwasserlinse unter der Insel. Die Trinkwasserversorgung muss sich dem anpassen, der Wasserhaushalt muss noch mehr eingeschränkt werden. Schon jetzt ist das Pirolatal von Salzwassereinbrüchen bedroht, trotz Schutzdünen und Sandaufschüttungen“, meint Uilke van der Meer. Für eine Tourismus-Insel ist die Forderung nach Überschwemmungsgebieten der reine Horror. Standhalten oder weichen, diese Zwickmühle nimmt die Inseln in die Zange. Denn Standhalten kostet den Steuerzahler viel Geld und Weichen, das bedeutet herbe Einschnitte im harten Tourismusgeschäft.

Thomas Schumacher