Im LSD-Tempel

Krautrock jenseits des Verfallsdatums: Beim Ashra-Konzert in der Akademie der Künste spielte Manuel Göttsching den Boss. Dr. Motte war auch da

von ANDREAS HARTMANN

Der Krautrock der Siebziger, dessen wichtiger Bestandteil Ashra Tempel waren, hat viele Bands der heutigen Popgeneration beeinflusst, und Manuel Göttschings Soloplatte „E2-E4“ Anfang der Achtziger gilt als wichtiger Wegweiser der elektronischen Musik. Damit genau das endlich klar wird und um ein für alle Mal das Schulterzucken von Erben, die nicht wissen, wessen Erbe sie da mitverwalten, aus der Welt zu schaffen, wurde beim Auftritt von Ashra, dem ersten nach zwölf Jahren in Berlin, vor allem eines unternommen: Der Konzertpreis wurde auf 60 Mark hochgeschraubt und damit so getan, als handele es sich hier tatsächlich um ein wirklich wichtiges Konzert. Die Legende kehrt zurück, und das kostet nun mal. Auch eine Möglichkeit, eine längst abgehalfterte Band vor dem traumatisierenden Erlebnis eines dieser Veteranentreffen nach dem Motto „20 Krautrock-Kultcombos an einem Abend für 20 Mark“ zu bewahren. Und die Medien spielten mit.

Man konnte in der Berliner Presse nochmals ausführlich die ganzen Storys von damals nachlesen, als Ashra noch Ashra Tempel hießen und Krautrock noch eine wirklich obskur mystische Verwirrtenmusik war. Und mit LSD-Papst Timothy Leary hat das einzige wirklich verbliebene Gründungsmitglied Manuel Göttsching damals auch eine Platte aufgenommen. Doch leider war nirgends zu lesen, dass es für beinharte Krautrock-Fans eine golde Regel gibt: Krautrockplatten nach ungefähr 1975 taugen nichts.

Ashra in der Besetzung, um die es hier geht, haben allerdings erst 1976 das „Tempel“ im Bandnamen abgelegt. Was bedeutet: Es kann eigentlich gar keine halbwegs vernünftige Ashra-Platte gegeben haben. Vielleicht höchstens für diejenigen, die Witthüser und Westrupps „Trips und Träume“ und Sergius Golowins „Lord Krishna von Goloka“ für die goldenen Schallplatten der Kosmischen Musik halten. Und davon schienen sich am Freitag tatsächlich einige zum Ashra-Konzert in die Akademie der Künste geschleppt zu haben.

Vor ein paar Jahren, als Goa-Trance noch das große Ding war, hätten sich vielleicht ein paar jugendlichere Neohippies auf ein Ashra-Konzert verirrt. Doch so war eher ein Publikum zugegen, das man auch von diesen Plattenbörsen her kennt, auf denen nach Live-Bootlegs völlig irrelevanter progresssiver Blues-Bands gefahndet wird. Nach dem Konzert verkaufte ein fliegender Händler obskure Krautrock-CDs von den Kosmischen Kurieren und ähnlichen grenzdebilen LSD- und Räucherstäbchen-Prä-Yogiflieger-Truppen. Die Silberlinge sollten bis zu hundert Mark kosten, und trotzdem war um den Stand ein Gedränge. Das sagt doch eigentlich so einiges.

Das Konzert selbst war dann gar nicht so schlimm. Nicht mal so richtig langweilig. Dafür war Manuel Göttschings Selbstinszenierung als Bandchef, der es sich leisten kann, dass die anderen für ihn arbeiten und er das Kollektiv dafür lediglich mit seinem Ruhm speist, viel zu lustig. Während mehr als der Hälfte des Gigs, bei dem recht amtliche Jazzrock-Teppiche gegen ein wenig Synthie-Geblubber in Stellung gebracht wurden, spazierte er nur auf der Bühne herum, verließ sie gern auch mal ganz, nahm mal wieder seine E-Gitarre in die Hand und zupfte ein bisschen auf ihr herum, ohne dass sich der Sound insgesamt großartig änderte. Schwer zu sagen, ob sich Göttsching hier in der Rolle einer Diva gefiel oder ob er sich vielleicht damals doch zu bereitwillig für ein paar LSD-Versuche von Timothy Leary zur Verfügung gestellt hatte. Wahrscheinlich beides. Einer der Zuschauer rief irgendwann: „Trink einen Kaffee!“, und fügte hinzu: „Aber einen starken.“ Doch der hätte wohl auch nichts mehr gebracht.

Am Schluss des Konzertes, das den Abschluss eines „Kulturaustausches Berlin–Paris“ bildete, konnte man noch erfahren, dass sich im Publikum neben F. J. Krüger von Ideal und Coco Schumann auch der Ashra-Tempel-Fan Dr. Motte befand. Im Booklet der Ashra-Tempel-Platte „Schwingungen“ gibt es neben vielen anderen stark erleuchteten Sprüchen diesen: „Liebe: Ist die Fähigkeit, sich selbst im Anderen zu erkennen.“ Angesichts der Weisheiten, die die Motte sonst immer so vom Stapel lässt, stellt sich am Ende die Frage: Sind Ashra Tempel die wahren Urväter der Love Parade?

Hinweis:Ein Gig, bei dem recht amtliche Jazzrock-Teppiche gegen ein wenig Synthie-Geblubber in Stellung gebracht wurden