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: Armstrongs Tour-Sieg wird nur ungern akzeptiert

Der Fluch des Schokoriegels

Mancher hiesige Radsport- oder besser Jan-Ullrich-Fan wurde in den letzten Tagen dabei ertappt, wie er mantramäßig vor sich hin murmelte: „Warum musste er bloß diese verdammten Schokoriegel an der Tankstelle verputzen?“ Auch wenn die erstaunliche Darbietung des Amerikaners Lance Armstrong im 58,5 km langen Zeitfahren vom Freitag – mit einem Stundenschnitt von fast 54 Kilometern, Tour-Rekord für eine solch lange Strecke – die Begeisterung ein wenig dämpfte: Die Überzeugung, dass der Sieger der Tour de France 2000 eigentlich Jan Ullrich und nicht Lance Armstrong heißen müsste, konnte nicht nachhaltig getrübt werden. Nicht die starken Beine des Texaners hätten den Ausschlag gegeben, sondern die überflüssigen Pfunde des Merdingers, lautet die Theorie. Merke: Wenn ein deutscher Sportstar bloß Zweiter wird, kann nur er selbst daran schuld sein.

Tatsächlich hat Ullrich (26) eingeräumt, dass er seine Vorbereitung ändern muss, wenn er nach seinem sensationellen Triumph von 1997 noch einmal die Tour gewinnen will, doch ob das Rennen bei anderer Herangehensweise einen anderen Ausgang genommen hätte, ist fraglich. Ein anderer Verlauf hätte andere Taktiken bedingt, und wer sagt, dass es nicht gerade das anfängliche höhere Gewicht von Ullrich war, das ihn am Schluss stark machte, während Armstrong eingestandenermaßen für seine Anstrengungen der ersten Wochen büßen musste? „Plötzlich war die Kraft weg“, beschrieb der Amerikaner seinen Einbruch auf der letzten Alpenetappe, „auf zehn Kilometern hätte ich die Tour verlieren können.“

Es gibt viele Arten der Präparation für die Tour de France, aber keine ideale. Sicher ist es hilfreich, wenn jemand vorher alle kniffligen Teile der Strecke häufig abfährt, wie Armstrong in diesem Jahr oder früher Miguel Induráin, bei dem die nahe seines Heimatortes gelegenen Pyrenäen-Pässe an Aubisque oder Tourmalet fester Bestandteil des Trainingsprogramms im Frühjahr waren und so jeglichen Schrecken verloren. Ein Patentrezept existiert aber nicht. Manche früheren Tour-Sieger bestritten den Giro d’Italia ohne Ambitionen, nur zum Einrollen, wie Laurent Fignon oder Greg LeMond. Radprofis wie Stephen Roche, Marco Pantani oder Miguel Induráin aber gewannen sogar beim Giro und kurz danach trotzdem die Tour. Andere wie Ullrich oder Armstrong richten ihren Trainingsplan so ein, dass sie punktgenau bei der Tour ihre beste Form erreichen. Ein riskantes Spiel, wie der akribische Planer Tony Rominger, der ähnlich verfuhr, mehrfach spüren musste.

Für Lance Armstrong ging die Rechnung jedoch schon zum zweiten Mal in Folge auf. Die Klassiker im Frühjahr interessieren ihn nicht die Bohne, für den 28-Jährigen ist klar: „Nichts kann sich mit der Tour vergleichen.“ Seinen Sieg in diesem Jahr stuft er eindeutig höher ein als den von 1999. „Das war meine Auferstehung“, sagt er, der erste Start bei der Frankreich-Rundfahrt nach überstandener Krebserkrankung. „Diesmal habe ich bewiesen, dass ich nicht zufällig gewonnen habe.“ Im Gegensatz zum Vorjahr, als Ullrich und Pantani fehlten, seien jetzt alle Spitzenfahrer am Start gewesen, außerdem habe ihm die Strecke überhaupt nicht gelegen. „Als ich das erste Mal die Karte gesehen habe, bin ich fast auf den Rücken gefallen.“ Viele Berge und nur ein Einzelzeitfahren, eine Streckenführung, die eigentlich die Kletterer gegenüber Armstrong und Ullrich bevorteilte.

Tony Rominger ist überzeugt, dass das Duell Ullrich-Armstrong auch in den nächsten Jahren die Tour bestimmen wird. Wenn man dem Amerikaner glaubt, allerdings nicht mehr allzu lange. Fünfmal wie Merckx, Anquetil, Hinault und Induráin könne er diese Rundfahrt „niemals“ gewinnen, behauptet Armstrong fest: „Ich werde wohl nicht einmal fähig sein, sie überhaupt noch dreimal zu fahren.“ MATTI