berliner ökonomie: Lookalikes in der Hauptstadt der Doppelungen
Kein neuer Würfelwurf mehr!
Die Doppelstadt Berlin ist wohl wie keine andere in der Welt für jeden Verdoppelungsirrsinn geeignet. Nicht nur auf der Landkarte sieht man alles doppelt – im Osten den Müggelsee, im Westen den Wannsee –, es gibt dort auch je einen Teufelsberg mit einer Öko-Station drauf. Außerdem sind auch alle Institutionen doppelt: die Oper, die Nationalgalerie, der Zoo, die Uni, Zeitungen, Flughäfen, Museen, Boheme-Berge mit U-Bahnen, die oben fahren, usw. Und weil Gesellschaften mit identischen Entwicklungsstufen immer dieselben Lebensentwürfe freigeben, und zwar in begrenzter Anzahl, gibt es auch jeden Ostberliner noch einmal als Lookalike in Westberlin.
Im Märkischen Viertel gründete kurz vor der Wende die Ex-Sekretärin Rosemarie Fieting, die schon als Fünfjährige Liz Taylor zum Verwechseln ähnlich sah, die erste deutsche Doppelgänger-Agentur, mit einer Lizenz der Bundesanstalt für Arbeit. Heute hat sie Hitler gleich dreimal im Angebot, einmal den Papst und zweimal Honecker: „Einer heißt sogar Horst-Erich.“ Die Marilyn Monroes gibt es bei ihr gleich im Dutzend; eine brachte sich sogar einmal auf dieselbe Art wie ihr Vorbild um. Auch die anderen Doppelgänger von toten Prominenten haben es schwer: So ließ sich ihr Freddy Mercury wie der echte die Zähne für viel Geld richten und ihr Humphrey Bogart hat schon mehrere Schönheitsoperationen über sich ergehen lassen müssen, um dem früh Verstorbenen ähnlich zu bleiben.
An Rosemarie Fietings Lookalike-Kartei fällt auf, dass die meisten ihrer rund 2.000 Lookalikes aus der Region kommen, aus der die Originale stammen. Mit der morphogenetischen Feldtheorie des englischen Botanikers Rupert Sheldrake kann man sagen: Die Prominenz hat ein mediales Zentrum, dessen Ausstrahlung nach außen hin abnimmt. So kommen etwa alle Mitglieder der Royal Family, das heißt deren Lookalikes, aus England; die Honeckers aus der DDR, George Bush aus Amerika, Otto aus Ostfriesland und alle Michael Schumachers aus Westdeutschland.
„Das Phänomen der Doppelgänger ist – sie wissen nicht, wer war das Original und wer bin ich“, meint Rosemarie Fieting. „Sie da immer wieder auf den Teppich zurückzuholen ist schwer. Jetzt lasse ich das auch: Die sind ja so am besten!“ Inzwischen gibt es in Berlin noch eine weitere Lookalike-Parade: allmonatlich im Hotel Estrel.
In Amerika, wo aus allen rassischen und physiognomischen Individualitäten ein einheitlicher Typ geformt wird – und zwar ebenfalls über die Medien und ihre Prominenten (sowie über Fastfood), hat man schon vor über 20 Jahren die ersten Erfahrungen mit Lookalikes und deren Contests gemacht. Von dort kommt nun auch die erste Kunde, dass das Phänomen längst auf alle Gegenstände und Gadgets übergesprungen ist: Nichts ist mehr heilig und einmalig! Es gibt Tischlampen-als-Toaster-Lookalikes, Imbissbuden, die wie ein Hamburger aussehen, Tische, die der hockenden Hausfrau zum Verwechseln ähneln, Kugelschreiber, die als Doppelgänger von Revolvern daherkommen und umgekehrt, Hausbars in Form von Fernsehern oder Kaminfeuern, Kühlschränke als Lookalikes von Bücherregalen und Chefzimmer als Raumschiff-Kommandozentralen . . . In Berlin hat die kanadisch-litauische Künstlerin Laura Kikauka daraus eine riesige Sammlung gemacht. Auch auf der Expo 2000 ist Derartiges zu besichtigen. Im Themenpark „Basic Needs“ zum Beispiel jede Menge Ei-Lookalikes.
Wenn diese oder ähnliche Doppelgänger-Dinge tierische beziehungsweise humanoide Formen verpasst bekommen, kann man auch von Lookalike-Mutanten sprechen: In Schwarzeneggers Filmen sind das dann Menschen, die wie Roboter aussehen und Roboter, die wie Menschen wirken. Dieser Lookalikismus kommt gerne pädagogisch daher und breitet sich dementsprechend gerne in Kinderzimmern aus. Die derzeitig beliebtesten Lookalike-Mutanten sind die vier Teletubbies und die 151 Pokémon-Figuren, die alle irre gewordenen Genforscherhirnen entsprungen zu sein scheinen. Dabei sind sie jedoch auch nichts anderes als Lookalike-Gadgets, wobei die Ars Combinatoria darin bestand, aus kindgemäßem Bekannten scheinbar neue Formen zu kreieren.
Insgesamt weisen all die lebenden und toten Doppelgänger daher auf ein Nachlassen der Spannung, auf ein Ende der Schöpfungskraft hin: Mit der Eliminierung des letzten Fremden und der Korrumpierung auch noch der allerletzten (wilden) Kultur kann nun nur noch bereits Bekanntes zusammengebastelt werden. Es gibt keinen neuen Würfelwurf mehr! Unsere Ausdrucksmittel sind erschöpft. Schon trifft man die ersten Berliner Originale unter den letzten Amazonas-Indianern und umgekehrt. Jetzt ist es (dort) das Bekannte-Allzubekannte, was dann doch verblüfft. HELMUT HÖGE
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