Luftkampf über Espressomaschinen

■ Das Oldenburger Edith-Ruß-Haus für Medienkunst zeigt, dass die Grenzen zwischen Fakten und Fiktionen fließend sind

Das ist das Schöne an Videokunst: Endlich kann man sich mal wieder hinsetzen und sich berieseln lassen, ohne die ständige Frage im Nacken: “Was will die Künstlerpersönlichkeit mir denn nun sagen?“ Und amüsieren kann man sich auch. Jedenfalls in Oldenburg. Denn bei der am Wochenende eröffneten Ausstellung „Fact Fiction“ im Edith-Ruß-Haus ist auch Elmar Hess zu Gast.

Sein Beitrag zu „Formen des Dokumentarischen in der zeitgenössischen Videokunst und im Film“ ist die ironische Montage „Kriegsjahre“. Propellerflugzeuge dröhnen, sie überqueren Salatschüsseln, Espressomaschinen und andere Bauwerke. Das Schwarz-Weiß- Material stoppt. Schnitt! Rückblende. Wir sind in der farbigen Jetztzeit angelangt, in der Küche des Künstlers. Der hat eine Vorliebe für Toastbrot. In allen Schränken also: Toastbrot. Das lässt sich stapeln, eine Welt wird gebaut. Mit dabei: der Küchentisch, die Espressomaschine, Teller, Salatschüsseln, Kerzen, eine Modelleisenbahn. Das Kind im Manne.

Dann kommt Sie. Und der Ärger geht los. Der Krieg beginnt. Schwarz-Weiß: Hitler gegen Churchill. Hess selbst in dokumentarische Sequenzen reingeschnitten, mit Churchills Stimme versehen, an einem schwankenden Tisch auf hoher See. Ein Kommentator à la Wochenschau berichtet, die ganze Zeit live dabei. Zugleich gibt ein Erzähler Einblicke in die Nöte des Helden, seine Gedanken werden offenbar. Objektive Geschichte und subjektives Erleben – und doch ist alles Fiktion.

Voller Spielfreude baut Hess als Miniaturenarchitekt, Zeitmaschine, Schauspieler, Choreograph, Regisseur und Kameramann eine surreale Welt, die vom Zitat lebt, von der Erinnerung an historische Fernsehbilder. Und man nimmt die Erinnerung als Realität, für kurze Momente, um dann zu realisieren, dass man in einem Sandkasten sitzt, mit Bauklötzen spielt. Der alltägliche Beziehungskrieg als historische Inszenierung oder wie das eine vom anderen kommt – diese abstrakte Botschaft kommt dann noch ganz amüsant durch die Hintertür.

Kerry Tribe aus Los Angeles geht sehr viel puristischer, leiser an ihre Themen heran. „The Audition Tapes“ erzählen eine Familiengeschichte. Abwechselnd kommen die verschiedenen Personen zu sehr kurzen Stellungnahmen ins Bild, als Close-up. Ihre Erinnerungen umkreisen einander, verheddern sich, beginnen, sich zu widersprechen. Irgendein großes Geheimnis wird spürbar, das Grauen lauert als Verdrängtes im Sumpf der Geschichte. Kerry Tribe hat Interviews mit ihrer eigenen Familie von fünfzehn SchauspielerInnen nachstellen lassen. Im Laufe des Films mischen sich deren persönliche Erinnerungen in den Text, werden als Untertitel kenntlich.

Die US-Amerikanerin spielt damit einerseits auf die Subjektivität jedweden Erlebens an. Doch zugleich thematisiert sie das Kollektive der Erinnerung als Grundlage jeden Bildverstehens und berührt damit auch die Arbeit von Elmar Hess. Leider aber geht ihre leise, sehr eindringliche Arbeit in dem Geplapper und Gedröhne aus dem Untergeschoss etwas unter. Dass Videokunst auch Schallwellen produziert, haben die Architekten des „Edith-Ruß-Hauses“ wohl nicht so recht bedacht.

Ganz gut gelöst wurde das allerdings für die Installation von Sandra Schäfer. In „England-Deutschland“ lässt sie die Spiele beider Mannschaften auf der Europameisterschaft von 1996 nebeneinandergeschnitten im Bild laufen, und zwar zugleich die Version der BBC und die des deutschen Fernsehens. Die Kommentare kann man über Kopfhörer mitbekommen. Sandra Schäfer demontiert damit die Illusion der Real-Time, denn die Satellitenübertragung läuft zwei Sekunden zeitversetzt. Kommentar und Bildschnitt machen deutlich, dass ein und dasselbe Ereignis vollkommen unterschiedlich gesehen werden kann: Sagt der eine begeistert „Sheera“ so brüllt der andere „Möller“. Ganz nebenbei eine hinterhältige Demontage der – mediengestützt – inszenierten Männerdomänen. Marijke Gerwin

Im Edith-Ruß-Haus für Medienkunst (Katharinenstr. 23) bis zum 20. 8. zu sehen. Di-Fr 14-17 Uhr, Sa-So 11-17 Uhr. Infos unter www.edith-russ-haus.de