spätverkäufe, zweite chancen etc.: Von Kube’s Getränkeoase rüber in Volck’s Laden
Pesto aus der guten Stube
„Kube’s Getränkeoase“ führt Socken, Holzkohle und Schlüsselanhänger. Die Socken sind „gut für Arbeit, Sport und Spiel“, die Holzkohle steht in Pappsäcken verpackt mitten im Raum, die Schlüsselanhänger blinken. „Kube’s Getränkeoase“ ist ein so genannter Spätverkauf, die Schaufenster des Ladens in der Sonntagstraße in Friedrichshain sind noch neonerleuchtet, wenn alle anderen schon längst geschlossen haben. Spätverkäufe sind nützliche und schöne Einrichtungen. Sie bieten dem säumigen Käufer eine zweite Chance, dem Erlebnishungrigen das Abenteuer und dem Erlebnisforscher reichlich Stoff. Denn abgesehen davon, dass man sich hier verspätete Konsumbedürfnisse erfüllt und mit Nahrungs- und Genussmitteln notversorgt, geht man in die Geschäfte auch, um mit anderen zu sein oder um zu beobachten, wie andere mit anderen sind. Spätverkäufe sind soziale Umschlagplätze und Auffangbecken.
Hierher kommen die Leute, um zu reden, zu trinken und ihre Zeit zu vertreiben, und hierher kommen manchmal auch Leute, nur um am Verkaufstresen ihre Post abzuholen. Schön und erfolgreich aber muss hier niemand sein. Draußen ist es dunkel, und drinnen ist die Luft von Zigarettenrauch und Alkoholatem schwer, an den kahlen Wänden hängen Holztäfelchen mit eingebrannten Trinksprüchen: „Einer passt noch rein“. Der Ladenbesitzer thront im Kreis seiner Dauerkunden und gibt am liebsten Sixpacks heraus. Menschen, die mit Leinenbeuteln einkaufen gehen, findet er merkwürdig.
Doch das ist mittlerweile nicht mehr in jedem Spätkauf so. Zu Klassikern wie „Kube’s Getränkeoase“ gesellen sich zunehmend Geschäfte mit warmgelb getünchten Wänden, bunten Partylämpchen und Bioschokolade. Ihre Betreiber trinken Milchkaffee statt Bier und fahren mit Inline-Skates zur Arbeit. In ihrem Angebot gibt es Pasta und Pesto, Tampons, Dosen mit Hundefutter, Caro-Kaffee und Vollkornbrötchen. „Zu uns kommen junge Leute, viele Studenten, und auch die zugezogenen Singles aus den gut verdienenden Einpersonenhaushalten“, sagt Oliver Volck von „Volck’s Laden“. Seine „Friedrichshainer Überlebensmittel“ werden von den Kreativen, Vielbeschäftigten gekauft, die „nachts vom Flugplatz kommen und sich ihren Proviant besorgen“. Wie Daniel, 26 Jahre alter Filmproduzent, der glaubhaft versichert, schon seit einem Jahr nicht mehr in große Geschäfte zu gehen: „Die Spätis sind ein bisschen so wie früher die Tante-Emma-Läden, hier ist es ruhig, und keiner macht Hektik. Die Jungs hinterm Tresen sind entspannt, und das Angebot ist gut.“
Volck’s Laden in der Friedrichshainer Gabriel-Max-Straße sieht aus wie ein vom Spielzeugminiaturformat hochgezoomter Kaufmannsladen, mit Holzregalen und einer Lampe an der Hausfront, die anzeigt, wie lange am Abend geöffnet ist. Bei der Kasse gibt es eine kleine Theke, in der Süßigkeiten – Schokoriegel, Gummibärchen, Kekse und Lakritz – sortiert sind. Hier gibt es Kaffee, Underberg und Frauenzeitschriften, aber auch indische Gewürzpastete, Sol und Rioja.
Volck versteht sein Geschäft als „Mischung aus Wohnzimmer und Einkauf“. Wie in „Kube’s Getränkeoase“ kommen die Leute auch in seinen Laden nicht so sehr als Kunden, sondern als Vertraute. Deshalb stehen im hinteren Ladenbereich Tische, an denen Cappuccino und Wein getrunken oder ein Croissant gegessen wird, morgens um sieben genauso wie abends um elf. Die Käufer nehmen das Easy-Going des Ladens auf, schlendern herein, konsumieren nebenher. Man kennt sich, Küsschen hier, Küsschen da, und verbringt seine Freizeit gern im Spätverkauf. Dessen ursprünglicher Charakter als Einkaufsort verschwindet auf diese Weise mehr und mehr hinter einer Wellness-Eleganz. In Geschäften wie „Volck’s Laden“ erfährt der Spätverkauf eine Nobilitierung und beugt sich dem Anspruch einer Individualitätskultur, die ihren Alltag ästhetisieren will. JANA SITTNICK
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