Jenseits der schönen neuen Expo-Welt

Auf der Weltausstellung hat die Nord-Süd-Politik einige Nischen gefunden – Interessenkonflikte werden jedoch bestenfalls angedeutet. Daran wird auch die dreitägige Armutskonferenz auf der Expo kaum etwas ändern

HANNOVER taz ■ Heute eröffnet Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul auf der Expo eine dreitägige Tagung über das Thema Armutsbekämpfung. ExpertInnen aus Ministerien, multilateralen Institutionen und NGOs unterhalten sich über „soziale Neuerungen und neue Koalitionen“. Präsentiert werden „Paradebeispiele“ wie der „Dialog“ zwischen Indígenas und Ölmultis im ecuadorianischen Amazonasgebiet oder der mehrjährige Versuch, umwelt- und sozialverträgliche Staudammbauten zu fördern. Daneben werden sich Basisinitiativen wie die deutsch-kenianische Blumenkampagne oder Zeitungsprojekte von Obdachlosen vorstellen.

Titel und Ansatz des hochrangig besetzten „Global Dialogue“ sind geradezu programmatisch für die Art und Weise, wie auf der Expo Nord-Süd-Politik gemacht wird. 100 Millionen Mark hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit für Präsentationen aus den Ländern des Südens bereit gestellt. Dabei werden Widersprüche und Machtfragen jedoch kaum thematisiert. Da kann man der türkischen Regierung schon fast dankbar sein, dass sie wegen einiger Stellwände von amnesty international einen Eklat provozierte.

Ansonsten herrscht ein fröhliches, postmodernes Nebeneinander. Zum Beispiel im Themenpark „Ernährung“: Unmittelbar neben 2.000 andinen Kartoffelkeimlingen, die das Motto „Das Zukunft liegt in der Vielfalt“ illustrieren sollen, darf der Chemiemulti Novartis für seinen genmanipulierten Vitamin-A-Reis werben.

Ein Stück weiter wird der „revolutionäre Weg“ der Gentechnologie zur Lösung des Welthungerproblems gepriesen. Immerhin heißt es dort auch, dass der Überfluss an Nahrungsmitteln „ungerecht verteilt“ sei.

Im hochgepriesenen Themenpark „Das 21. Jahrhundert“ treten die BesucherInnen eine „archäologische“ Zeitreise durch vier Städte vom Jahr 2100 bis heute an. 2030, so ein Szenario dieser schönen neuen Welt, sei das Verkehrschaos in der brasilianischen Megalopolis São Paulo gebändigt – durch ein effizientes Nahverkehrssystem, das eine Favela-Aktivistin quasi im Alleingang installiert hat. Kein Wort über die Korruption, die ähnliche Versuche bisher jedesmal im Keim erstickt hat. Über dieses Märchen freut sich vor allem die Allianz, die als Sponsor mit von der Partie ist.

Inhaltlich wie ästhetisch sehr gelungen ist hingegen der Themenpark „Basic Needs“, für den der indische Szenograph Rajeev Sethi verantwortlich zeichnet. Die Wahrung kultureller Autonomie, so die Botschaft, ist unabdingbare Voraussetzung für die Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse, sei es in Frankreich, Bangladesch oder Haiti. Dazu führt die legendäre US-Agitproptruppe Bread and Puppets täglich ein Theaterstück auf – höchst vergnüglich und auch noch politisch korrekt.

So ist die Expo, die am vergangenen Wochenende erstmals an beiden Tagen mehr als 100.000 Menschen anlocken konnte, tatsächlich so etwas wie ein Spiegel der globalisierten Verhältnisse: Ohne penetrant präsente „Wirtschaftspartner“ wie McDonald’s oder Coca-Cola geht offenbar nichts. Die großen internationalen wie deutschen Konzerne sind die eigentlichen Profiteure der Weltausstellung.

Doch daneben herrscht, vor allem um die Nationenpavillons, ein Multikulti-Ambiente, das das Flanieren selbst an kühlen deutschen Sommerabenden zum Vergnügen macht. In der Afrikahalle spielt eine Reggaeband aus Ghana.

Meditationssitzungen sind ein Renner im nepalesischen Pavillon. Im „Global House“ ist ein Teil der knapp 500 registrierten „weltweiten Projekte“ ausgestellt – etwa in 26 zu Vitrinen umgebauten Luftfrachtkoffern, Selbsthilfeprogramme von ebenso vielen indigenen Völkern.

Oder die originelle Recyclingmode der brasilianischen Designerin Aguida Zanol, gleich neben dem Kunsthandwerk des „Barefoot College“ aus dem indischen Wüstenstaat Rajasthan. Mehrere Mitglieder demonstrieren mit Theatersketchen ihre von Mahatma Gandhi inspirierte Philosophie, nach der Selbstbestimmung die Grundvoraussetzung für erfolgreiche Entwicklungsprogramme ist. Fazit nach 28 Jahren Basisarbeit: „Die größte Bedrohung für Entwicklung stellt ein gelehrter Experte dar“, der technokratisch von außen „Lösungen“ präsentieren will.

Treffender kann die rundum propagierte Technikgläubigkeit nicht auf den Punkt gebracht werden. GERHARD DILGER