Wenn Leichen zu weit reisen

von GABRIELE LESSER

Der Zöllner winkt den schwarzen geschlossenen Kombi durch, dann den nächsten und noch einen. Die Schlange scheint unendlich zu sein: Ein Leichenwagen nach dem andern rollt über die Grenze nach Polen. Eine „Invasion deutscher Leichen“ drohe dem Land, warnen polnische Zeitungen ihre Leser, und auch die deutschen Gazetten schüren die Angst und titeln reißerisch: „Polen verbrennen Deutsche zu Dumpingpreisen“.

Noch ist das nur Phantasie. Doch Kurt Weißhuhn ahnt schon, was im Oktober auf ihn zukommen könnte. Dann nämlich will er auf dem Zentralfriedhof von Stettin (Szczecin) ein Krematorium eröffnen. „Damit das klar ist“, sagt er im Gespräch mit der taz, „ich bin nicht angetreten, um Deutsche in Polen zu verbrennen. Ich verbrenne polnische Verstorbene in“, er macht eine kleine Pause, konzentriert sich und spricht es fast fehlerfrei aus, „in Schtschetschin“. Dass er allerdings „natürlich auch deutsche Verstorbene“ verbrennen werde, wenn Polen in der EU sei oder das Recht schon vorher geändert werde, verstehe sich ja wohl von selbst. „Ich wäre ein schlechter Geschäftsmann, wenn ich das nicht täte.“

Der Friedhof ist voll

Das Krematorium in Stettin wurde nach dem Krieg nicht mehr genutzt. Der 1925 von Deutschen errichtete Klinkerbau mit Kapelle verfiel, da die nach Kriegsende nach Szczecin ziehenden Polen der Erdbestattung den Vorzug gaben. Doch der Platz auf dem Zentralfriedhof wird langsam knapp. In zwei Jahren kann dort niemand mehr beerdigt werden, der nicht schon vor vielen Jahren ein Familiengrab gepachtet hat. In ihrer Not ließ die Stadt Kapelle und Krematorium originalgetreu restaurieren und begann einen privaten Betreiber zu suchen.

Da der Papst seit 1937 nichts mehr gegen Feuerbestattungen einzuwenden hat, können sich nun auch Katholiken einäschern lassen. In Polen allerdings fand das Verbrennen bis 1985 keine Anhänger, da die Tradition nach einem Sarg verlangte, der in feierlichem Ritual in die Grabstätte hinabgelassen wurde und dem die Trauergemeinde Blumen und eine Hand voll Erde nachwerfen konnte.

Darf ein Deutscher das?

„Das ist das große Risiko“, sagt Weißhuhn. „Natürlich habe ich einen Businessplan. Wenn ich im vierten Jahr 6.000 Verstorbene kremieren kann, komme ich auf meine Kosten. Aber Urnenbeisetzung ist in Polen ja völlig unüblich. Die Begräbniskultur ist eine ganz andere als in Deutschland.“ Dass ausgerechnet ein Deutscher demnächst Polen einäschern wird, hat die auch in Polen überaus diskrete Branche so in Rage gebracht, dass der Vorsitzende des polnischen Bestatterverbandes, Wojciech Krawczyk, vom Rat der Stadt Stettin eine schriftliche Erklärung einforderte. Schließlich, so heißt es in seinem Schreiben wörtlich, sei der „historisch-gesellschaftliche Kontext“ bei dieser Investition zu beachten. Es könne doch wohl nicht angehen, dass ein Deutscher ein von Deutschen gebautes Krematorium in Polen betreibe und darin Polen verbrenne. Krawczyk hält dies für eine „Verhöhnung unserer historischen Erfahrungen“.

Den Stadtrat lässt das kalt

Den Stadtrat in Stettin ließ das Argument kalt. Wichtig sei allein, dass der Bewerber die modernste Technik einsetze, alle Umweltauflagen erfülle und finanzkräftig genug sei, um die ersten verlustreichen Jahre zu überstehen. Ob am Ende ein Pole den Ofen anwerfe, ein Italiener oder ein Deutscher, sei dem Stadtrat egal.

Doch Krawczyk ließ nicht locker. Ob der Stadtrat denn wisse, dass der Deutsche einen schwungvollen Handel mit deutschen Leichen betreiben wolle und die Toten gewissermaßen als „Großhändler“ nach Polen einführen wolle, um sie hier zu verbrennen? In dieselbe Kerbe schlägt auch Antoni Bialous, der die schwedische Verbrennungsöfen-Firma Bovin in Polen vertritt: „Wenn eine Firma daherkommt, nicht mal ein Stückchen Friedhof zum Verwalten will, auch kein eigenes Büro, dann kann das nur bedeuten, dass sie Leichen aus dem Ausland holt – und zwar im großen Stil.“

Krzysztof Srednicki zuckt amüsiert die Schultern. Der Warschauer hat sich auf die Beerdigung von Ausländern in Polen spezialisiert. BONGO steht auf seiner schwarz glänzenden Visitenkarte: „Büro zur Pflege von Ausländergräbern“. Einen Ausländer in Polen zu beerdigen oder in seine Heimat zu überführen, ist nämlich gar nicht so einfach. „Früher, also in der Volksrepublik, hatten wir das Monopol auf Ausländer“, erklärt Srednicki trocken. „Jetzt gehört das überall zum Angebot, aber wir haben natürlich die längste Erfahrung.“

Für einen reisenden Toten benötigt man neben dem Totenschein vorallem einen Leichenpass. Den stellt das Konsulat des jeweiligen Heimatlandes des Verstorbenen aus. „Inzwischen haben wir auch in Warschau ein Krematorium, da können wir die Ausländer gleich hier einäschern. Das erleichtert den Transport. Die Angehörigen können den Toten dann gleich mitnehmen, mit den notwendigen Reisepapieren natürlich, oder wir schicken ihn zum Beispiel per Kurier zurück nach Hause.“

Aus einer der unteren Schreibtischladen zieht er ein vergilbtes Gesetzblatt von 1959. Artikel 14 des Beerdigungsgesetzes regelt, dass jede einzelne Leiche, die nach Polen eingeführt werden soll, eine außerordentliche Genehmigung benötigt. Falls jemand an einer ansteckenden Krankeit gestorben ist, bleibt die Grenze ohnehin dicht. Und genau da liege der Haken. „Ohne grünes Licht von Sanepid geht gar nichts“. Die Gesundheits- und Hygienebehörde gilt Leichen gegenüber als misstrauisch. Die Toten schleppen möglicherweise Cholera ein, Gelbfieber oder die Pest. Srednicki schüttelt den Kopf: „An eine Masseneinfuhr von deutschen Leichen ist gar nicht zu denken.“

Was für böse Worte!

Kurt Weißhuhn kann das nicht aus der Ruhe bringen, nur die Wortwahl seiner Kontrahenten schockiert ihn immer wieder: „Leichenhandel und Leichentourismus – was für böse Worte! Wenn es die Grenze nicht gäbe, wäre das alles gar kein Problem. In der EU ist es völlig üblich, dass da eingeäschert wird, wo es am günstigsten ist.“

Allerdings hat nun auch Berlin ein frisch saniertes Großkrematorium. In der Stadt sind Einäscherungen populär: 75 Prozent der Verstorbenen werden inzwischen feuerbestattet. Doch immer mehr Bestattungsunternehmen fahren Krematorien in Sachsen, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern an. Dort ist die Einäscherung günstiger. In Berlin kostet sie 520 Mark, doch auch dieser Preis ist nicht kostendeckend. So muss das Land jede Verbrennung mit einem Betrag in gleicher Größenordnung subventionieren. Dass der Bezirksbaustadtrat Dieter Schmitz (SPD) in aller Öffentlichkeit behauptet, das Krematorium mache nur deshalb Minus, weil die Bestatter „gesetzwidrig nach Polen oder Tschechien ausweichen, um bis zu 300 Mark zu sparen“ (SZ vom 29. 3. 2000), findet Weißhuhn allerdings „ein starkes Stück“. Nach Tschechien könne man ganz legal fahren, und Richtung Polen sei die Grenze für deutsche Leichen zu. Auch die Mitarbeiter der Botschaft in Warschau sind erstaunt: „Mit Leichenschmuggel hatten wir hier noch nicht zu tun.“