Eine spannende Begegnung der netten Art

■ Auf Einladung der Bremer Künstlervereinigung „Quintum“ sind indianische KünstlerInnen zu Gast im Neustadtsbahnhof. Trotz großer Unterschiede im Umgang mit den jeweils eigenen Traditionen profitieren beide Seiten von dem Kulturaustausch

Mit ausladender Geste schwingt Jereldine Redcorn den Pinsel mit der weißen Farbe über den Karton vor ihr auf dem Tisch. Sie schafft sich den Hintergrund für ein Mandala, das einmal groß und bunt die helle Fläche zieren soll. Ihr Gesicht ist angespannt. Denn zum ersten Mal in ihrem Leben hat sie das Gefühl, ihre künstlerischen Grenzen auszuweiten. „Ich hätte nie gedacht, dass ich auch mal Persönliches in meine Arbeit bringen könnte. Ich war immer zu sehr in der Tradition gefangen“, sagt die Künstlerin.

Jereldine Redcorn ist Indianerin vom Stamm der Caddo aus Oklahoma. Zurzeit arbeitet sie mit drei weiteren indianischen Künstlern aus den USA und den sechs Mitgliedern der Bremer Künstlergruppe „Quintum“ in einem Symposium im Neustadtsbahnhof. Die zehn Künstler probieren hier den „Versuch einer Begegnung“, in dem nicht nur Kunst sondern auch der Austausch der Kulturen im Vordergrund steht.

Die Idee und auch die Kontakte stammen von Quintum-Mitglied Margaret Herting. Die Künstlerin stammt aus den USA und hat schon mehrere Bücher über die Geschichte und Kultur der Indianer geschrieben. „Als sie dann vorschlug, mit diesen Menschen mal zusammenzuarbeiten, waren wir alle gleich begeistert“, erinnert sich Quintum-Mitglied Renate Hugel.

500 Jahre ist die indianische Technik alt, mit der Jereldine Redcorn normalerweise kleine Gefäße aus Keramik herstellt. Spiralen winden sich über die bauchigen Krüge und Töpfe. Bärenköpfe, Pfoten und Gesichter ragen aus den Wänden aus Ton. Unverfälscht, naturbelassen, in den Farben der Erde. Die Frau mit dem langen schwarzen Haar macht nicht viele Worte. In ihrem kleinen Heimatdorf hat die Künstlerin noch nicht viel Erfahrung mit „anderen“ Künstlern gemacht. Und kritisches Auseinandersetzen mit der eigenen Kunst und Tradition gibt es nicht.

„Schon immer arbeite ich so wie meine Vorfahren es getan haben“, sagt sie, „aber jetzt werde ich mal versuchen, den Gefäßen Farbe und Glasur zu geben“. Die Indianerin ist fast aufgeregt wegen dieses für sie spektakulären Vorhabens. Woher kommt dieser Sinneswandel? „Als ich hierher kam, habe ich gleich bewundert, wieviel eigenes Gefühl die europäischen Künstler mit ihren wilden Farben und Formen ausdrücken. Ich konnte das nicht. Aber jetzt will ich endlich mal das machen, was ich will“, beschreibt sie.

Sie fühle sich befreit, fand im Bremer Neustadtsbahnhof die Kraft, etwas Neues anzufangen, sagt sie. Das bedeutet jedoch nicht den Bruch mit der Tradition, sondern neue, persönliche Impulse in einer alten Technik. Dazu gehört auch das Mandala, an dem sie zuletzt arbeitete. „Früher wurden diese Muster auf Muscheln geritzt und als Amulett getragen. Jetzt male ich es mit vielen Farben auf den Karton.“

Ähnlich geht es Kelly Jean Church, Indianerin vom Stamm der Ojibwe/Ottawa, die in der ländlichen Gegend von Michigan lebt. Ohne große Erwartungen war die Künstlerin nach Bremen gekommen. Mit akuraten Strichen und klaren Farben malt sie indianische Symbole auf Leinwand. Das war schon immer so. „Ich bin so eingeschlossen in meine Kultur und die Leute hier sind so frei. Das hätte ich nicht erwartet. Ich möchte jetzt auch versuchen, das eine oder andere etwas abstrakter zu malen“, hat sie sich vorgenommen.

Dabei war die junge Frau immer so stolz auf das Wiederentdecken der eigenen Kultur. „Meine Großmutter gehörte noch zu der Generation, die dazu gezwungen wurde, sich dem neuen Amerikanischen Volk anzupassen“, beschreibt sie. Die eigene Sprache durfte nicht mehr gesprochen werden, alle Kinder mussten auf englische Schulen gehen. „Dabei ist vieles untergegangen. Meine Generation wird sich dessen jetzt bewusst und versucht, einen Teil davon zurückzuholen“, erklärt Church.

Dass das heute nicht mehr ohne das Einbeziehen der Gegenwart funktioniert, ist der Künstlerin jetzt klar. Zurück in den Staaten will sie das weitergeben, was sie bei diesem Projekt gelernt hat – von den Europäern und den Mitgliedern der anderen Indianerstämme.

Vielleicht fühlen sich Redcorn und Church von Renate Hugel inspiriert. „Ich male aus dem Inneren, meine Bilder werden aus dem Chaos geboren“, beschreibt die Bremerin ihre Kunst. Ihre Bilder sind ein wahrer Ausbruch an Farben und Formen. Die Kunst der Indianer ist für Hugel etwas ganz Besonderes, etwas Unnachahmliches. Gerade das, was die Indianerinnen an ihrer Kunst eher als beengend empfinden, findet Hugel beosnders attraktiv. „Diese Leute sind so verbunden mit ihrer Tradition. Wir europäischen Künstler könnten sowas gar nicht, einfach schon aus dem Grunde, dass unsere eigene Tradition nicht mehr richtig vorhanden ist“, beschreibt sie.

Doch wie die Indianerinnen findet auch Hugel Inspiration in der anderen Kultur: „Ich habe damit angefangen, indianische Symbole in meine Werke mit aufzunehmen. Allerdings male ich sie auf meine Weise.“ Oft sitzen die Frauen zusammen, um über ihre Objekte und Vorstellungen zu reden.

Der künstlerische Austausch steht für die Malerinnen Eva Klug und Christa Höting nicht im Vordergrund. „Ich will nichts nachmachen, das wäre ja ein Abklatsch. Das Wichtige an diesem Symposium ist die Begegnung“, erklärt Höting. „Es ist einfach wunderschön, nicht alleine zu arbeiten. Außerdem wird in Gesprächen so manches Klischee richtiggestellt. Und wer weiß, vielleicht beeinflussen wir uns ja doch – unterbewusst“, meint Klug.

Gegenseitige Inspiration und Wesenswandel hin oder her, jeder der zehn Künstler will natürlich seine ganz eigene Individualität behalten. Und die zeigt sich ganz besonders in einem Gemeinschaftsprojekt, das schon in den ersten Tagen des Symposiums entstand. Drei Holzstücke haben die TeilnehmerInnen zusammen verziert, mit Farbe, Buchstaben oder Objekten. Jeder hat versucht, mit seinem Beitrag seine Gefühle auszudrücken.

Margaret Herting, Quintum-Mitglied, hat auf ihrem Fleckchen Holz in einen bunten Hintergrund „Angst“ und „Erwartung“ geschrieben. „Das waren die ersten Wörter, an die ich denken musste, als das Projekt losging“, erklärt sie. Kelly Jean Church entschied sich an ihrer Stelle für eine indianische Bärentatze – ein Schutzsymbol. Ein indianisches Gefäß, von der Bremerin Hugel gemalt, und das weinende Auge, Stammessymbol der Caddo, sind ebenfalls auf dem Holz zu finden. Und auf den Oberkanten: das zusammen entworfene Symbol für das Projekt „Versuch einer Begegnung“. Imke Gloyer

„Versuch einer Begegnung“ ist von Freitag, 28. Juli, bis Samstag, 12. August, montags bis freitags von 12.30 bis 18.30 Uhr und samstags von 11 bis 14 Uhr in den Räumen der Galerie „pro art“ im Kulturbahnhof Neustadt zu besichtigen. Wer zu der Gruppe Kontakt aufnehmen will, erreicht sie unter der Telefonnummer 594 708.