„Sachsen wird eine Rentnerrepublik“

Mit den Kürzungen an den sächsischen Hochschulen kann Cornelius Weiss nichts anfangen. Der ehemalige Rektor der Uni Leipzig wirft Regierungschef Biedenkopf vor, mit Fatalismus die Chancen der Jugend Sachsens zu verschlechtern

taz: Aus Sachsens Hochschulen dringt Kampfgeschrei. Was ist los an den Unis?

Cornelius Weiss: Die Landesregierung hat beschlossen, den Universitäten und Fachhochschulen Sachsens eine erhebliche Kürzung der Stellen für Wissenschaftler und Dozenten zu verordnen. Damit knipst das Kabinett Biedenkopf praktisch das letzte Licht aus, das in Sachsen noch Leuchtkraft besitzt.

Wie sieht der Beschluss konkret aus?

Dass wir 15 Prozent unseres derzeitigen Bestandes verlieren sollen.

Was bedeuten die Stellenkürzungen?

Es verschwindet eine mittlere Universität, etwa von der Größe der TU Chemnitz. Mit Gürtel enger schnallen ist da nichts mehr wettzumachen. Von 12.400 Stellen, die 1992 einmal als Sollgröße galten, ist die sächsische Hochschullandschaft inzwischen auf 10.000 geschrumpft. Und es geht weiter bergab. Das ist das Ende eines Wunders in Sachsen.

Eines Wunders?

Wir haben nach der Wende durch eine außergewöhnliche Anstrengung, von Ostlern wie Westlern übrigens, die Hochschulen modern und leistungsfähig gemacht.

Was verstehen Sie darunter?

Wir sind mittlerweile für 18.000 Studenten aus anderen Bundesländern attraktiv, der Großteil davon aus dem Westen. Das heißt, fast ein Viertel der Studierenden sind keine Landeskinder. Mit zunehmender Begeisterung kommen Menschen hierher an die Hochschulen. Und die, die zu uns kommen, sind die Neugierigen, die Mutigen, die Unternehmungslustigen. Die wollen sehen, was passiert da im Osten.

Das ist doch wunderbar.

Ja, aber auf solche hoch willkommenen Zuwanderer brauchen wir nicht mehr zu hoffen, wenn die Hochschulen klein gemacht werden. Wo Not und Elend herrscht, geht niemand hin.

Welche Auswirkungen werden die Kürzungen auf die einzelnen Universitäten haben?

Die Universität kommt einfach nicht zur Ruhe. Die Wissenschaftler werden, zum wiederholten Male seit 1990, durch Existenzangst und fehlende Planungssicherheit von ihrer eigentlichen Arbeit abgehalten. Unsere Drittmittelgeber erwarten aber exzellentes Personal und eine ausreichende Grundausstattung. Sonst investiert hier niemand in Auftragsforschung.

Sachsen war zu DDR-Zeiten ein Zentrum von Wissenschaft und Industrie. Das kriegt man so leicht nicht klein.

Das ist Vergangenheit. Die Industrie ist quasi vollständig weggebrochen. Wir könnten uns nur durch Intelligenz, Wissen, Know-how – und den daraus entstehenden Innovationen – am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen. Die Wissensproduzenten jetzt zur Ader zu lassen heißt, die Zukunft unserer jungen Leute infrage zu stellen. Sachsen wird weiter vergreisen. Wir werden eine Rentnerrepublik.

Anfang der 90er nahm ein Beinaherentner namens Kurt Biedenkopf als Gastdozent der Universität Leipzig seinen Aufstieg in Sachsen. Hat er vergessen, was die Unis für ein Land bedeuten?

Biedenkopf ist das beste Beispiel für die Anziehungskraft von Unis. Leider hat er die Uni Leipzig nur als Sprungbrett in die sächsische Politik benutzt. Wir fragen uns wirklich, was in diesen Mann gefahren ist, dass er seinen Finanzminister nun die Axt schwingen lässt.

Der Ministerpräsident setzt mit Blick auf einen neuen, wahrscheinlich ungünstigen Länderfinanzausgleich ab 2005 lieber auf eine Rosskur für den öffentlichen Sektor.

Nein, das ist es nicht. Kurt Biedenkopf reagiert mit Fatalismus auf die demografische Entwicklung. In den letzten Jahren sind einige 100.000 Sachsen abgewandert. Die Geburtenrate ist niedrig. Diese Fakten lassen sich nicht leugnen. Die Frage ist, ob man darauf mit Abbruch reagieren darf?

Auch Finanzminister Georg Milbradt will den Personalvorsprung des öffentlichen Dienstes im Osten abbauen.

An den Hochschulen ist die Situation doch längst eine andere. Zu DDR-Zeiten hatten wir 24.000 Wissenschaftler in der Technologieregion Dresden und Leipzig. Davon ist heute gerade mal die Hälfte übriggeblieben. Inzwischen haben sich die Studentenzahlen vervielfacht.

Die Unis müssen zudem noch eine ganz andere Rolle übernehmen. Wir stellen das wissenschaftliche Rückgrat für den Mittelstand. Denn die Forschungs- und Entwicklungsabteilungen der Industriekombinate brachen nach der Wende als erstes weg. Hier arbeiten 3,7 Personen je 1.000 Einwohner in der Forschung, in Baden-Württemberg sind es gut über 20. Ohne die Universitäten gäbe es kein einziges der sechs Max-Planck-Institute, die sich mittlerweile in Sachsen angesiedelt haben.

Was ist die Alternative zu dem Kurs der Landesregierung?

Wissenschaft und Bildung müssen als echter, nicht nur als rhetorischer Schwerpunkt der Landespolitik begriffen werden. Wir müssen in Köpfe investieren und nicht in Beton. Es reicht eben nicht, immer neue Straßen zu bauen, auf denen dann die Möbelwagen gen Westen rollen.

Interview: CHRISTIAN FÜLLER