Frankreichs Regierung zückt die rote Karte

Sozialisten streiten mit Unternehmern: Arbeitgeberfreundliche Reform der Arbeitslosenversicherung gestoppt

PARIS taz ■ Frankreichs Patrons hatten es wieder einmal probiert. Sie wollten die französische Arbeitslosenversicherung in eine leistungsabhängige Versorgung verwandeln. Sie wollten Arbeitslosen, die es wagen, Jobangebote abzulehnen, mit dem Entzug der Leistungen bestrafen. Und sie wollten ihre eigenen Beiträge in die Kassen der Arbeitslosenversicherung radikal senken. „Reform“ nannten sie das. Die rechtssozialdemokratische Gewerkschaft CFDT und die kleine Christengewerkschaft CFTC unterstützten sie.

Seit Montag ist das vorerst gescheitert. Arbeitsministerin Martine Aubry und Finanzminister Laurent Fabius verweigerten ihre Zustimmung. Das Vorhaben diene nicht der Verbesserung der Lage der Arbeitslosen, erklärten die beiden SozialistInnen, sondern folge einer „Logik der Ausgrenzung“. SprecherInnen sämtlicher linker Parteien atmeten auf. Auch die größte französische Gewerkschaft CGT, die sozialdemokratische FO und die Angestelltengewerkschaft CGC, die alle drei schon vor Wochen ihre Unterschrift unter die „Reform“ verweigert hatten, reagierten gestern erleichtert. Die Arbeitgeber und die rechtssozialdemokratische CFDT hingegen zogen sich unter Protest aus der Arbeitslosenversicherung Unedic zurück.

Damit ist es in der paritätitisch von Patrons und Gewerkschaften verwalteten Arbeitslosenversicherung Unedic zum zweiten Eklat ihrer Geschichte gekommen. Schon 1982 waren die Patrons aus der Unedic ausgezogen, weil sie nicht bereit waren, höhere Beiträge zu zahlen.

Die Unedic entstand 1958, als Frankreich nur 25.000 Arbeitslose zählte. Inzwischen ist die offizielle Arbeitslosenzahl zwar wieder leicht unter die 3-Millionen-Marke gerutscht, doch gibt es heute neben den von der Unedic betreuten Arbeitslosen zusätzlich weitere 2 Millionen Arbeitslose in Frankreich, die entweder nur die staatliche Sozialhilfe RMI oder gar keine Unterstützung mehr bekommen. Auch die Struktur der Arbeitslosigkeit hat sich radikal geändert. Neben eine hohe Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit ist eine neue Beschäftigungsform getreten: Immer mehr Franzosen reihen einen befristeten Job an den nächsten und finden keine feste Stelle mehr; ihre Beiträge reichen meist nicht mehr für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Sowohl die rot-rosa-grüne Regierung als auch die meisten Gewerkschaften erwarteten von einer Reform der Unedic die verstärkte Einbeziehung von heute ausgeschlossenen Arbeitslosen. Die Patrons hingegen, angeführt von ihrer größten Organisation Medef, wollen selbst aus den gegenwärtig gut gefüllten Kassen der Arbeitslosenversicherung schöpfen. Statt den Bezieherkreis von Arbeitslosengeld zu erweitern, wollen sie die Arbeitslosen unter Druck setzen, schlechter bezahlte und weiter entfernte Tätigkeiten anzunehmen.

Paradoxerweise sah es in den vergangenen Wochen so aus, als könnten sie sich mit dem Vorhaben durchsetzen. Zwar hatten nur die CFDT und die CFTC – lediglich die gewerkschaftlichen Vertreter von knapp 30 Prozent der französischen Beschäftigten – dem Projekt zugestimmt. Doch rein formal hätte das gereicht. Mit dem „Non“ der Regierung müssen jetzt die Karten neu gemischt werden. Am 4. September wollen die Patrons und die Gewerkschaften sich erneut zusammensetzen.

Für die Arbeitslosen bleibt bis dahin alles beim Alten. Arbeitsministerin Aubry allerdings wird nicht mehr als Schiedsrichterin dabei sein. Sie verlässt die Regierung im Herbst, um sich auf ihre Kandidatur um den Bürgermeisterinposten in Lille zu konzentrieren. DOROTHEA HAHN