Jerusalem – die verfluchte Stadt
: Der Konflikt wird eskalieren

WAS FOLGT AUS DEM SCHEITERN?

BERLIN taz ■ Die schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden: das völlige Scheitern der Friedensverhandlungen von Camp David. Nicht einmal der Schein wurde gewahrt. Es gibt keine noch so nebulösen Rahmenvereinbarungen. Verhandelt wurde nur nach dem Motto: Alles oder nichts.

Jetzt werden erneut alle jene Szenarien beschworen werden, die in den vergangenen Wochen schon diskutiert und abgewogen wurden. Die israelische Armee ist auf Unruhen vorbereitet, die Siedler sind mit Munition und Gewehren ausgestattet worden. Die palästinensische Polizei hat tausende Jugendliche mobilisiert, um sich für eine militärische Auseinandersetzung zu wappnen. Jetzt genügt ein Schuss, um den drohenden Bürgerkrieg auszulösen. Den Radikalen und Scharfmachern auf beiden Seiten sind nun Tür und Tor geöffnet.

Noch bevor der palästinensische Staat ausgerufen ist, werden sich auch die „regulären“ Truppen beider Seiten bis an die Zähne bewaffnet gegenüberstehen. Israel wird die besetzten Gebiete abriegeln und die Verbindungswege zwischen den autonomen palästinensischen Gebieten unter seine Kontrolle bringen. Der Konflikt wird eskalieren. Und es steht zu befürchten, dass die Besonnenen erst nach einem Blutvergießen wieder an den Verhandlungstisch zurückfinden werden – wenn überhaupt. Denn US-Präsident Bill Clinton scheidet als Vermittler aus. Und die neue US-Regierung wird sich genau überlegen, ob sie in die Fußstapfen ihrer gescheiterten Vorgänger treten wollen.

Wenn beide Seiten jetzt erklären, sie hätten alles versucht, um einen Kompromiss zu finden, dann bedeutet dies, dass auf absehbare Zeit eine Verständigung unmöglich ist. Zwar werden die Oslo-Vereinbarungen von 1993 formal nicht außer Kraft gesetzt. Doch im Moment sind sie nichts anderes als Makulatur. Die zu erwartenden gegenseitigen Schuldzuweisungen werden den Konflikt noch verschärfen. Dabei wäre jetzt nichts notwendiger als Besonnenheit und Zurückhaltung. Die Agonie der beiden Völker im Heiligen Land wird ihre blutige Fortsetzung erleben. Und niemand weiß Rat.

GEORG BALTISSEN