„Wir müssen uns neu erfinden“

Interview JENS KÖNIG
und PATRIK SCHWARZ

taz: Herr Fischer, vor dem letzten Parteitag im Juni hieß es oft, der Außenminister habe von den Grünen endgültig Abschied genommen. Jetzt können Sie es ja verraten: War es wirklich so schlimm?

Joschka Fischer: Von mir haben Sie nicht gehört, dass ich Abschied genommen hätte. Die Zeitungen schreiben viel, auch viel Blödsinn. Jeden Tag, wenn ich die taz lese, sehe ich mich darin bestätigt, mal mehr, mal weniger. Ihre eigenen Berichte über mein Gefühlsleben kann ich weder bestätigen noch dementieren.

Sie werden doch nicht leugnen wollen, dass Sie sich in den letzten Monaten Ihrer Partei entfremdet haben?

Nach dem Parteitag in Karlsruhe im März war ich deprimiert, ja, das stimmt. Aber nach Münster geht es mir wieder besser. Die Grünen sind seit dem letzten Parteitag auf einem guten Weg.

Hat Sie Ihr neues Amt im Parteirat mit den Grünen versöhnt?

Ämter versöhnen mich nicht. Im Übrigen habe ich kein Amt; ich bin einfaches Mitglied im Parteirat. Ich will meinen Beitrag dazu leisten, dass die Grünen wieder auf die Beine kommen.

Sie sind aber bescheiden geworden.

Das haben Sie nur nie bemerkt.

Was ist mit den alten Wunden, der Kritik, den Beschimpfungen? Fischer, der grüne Helmut Kohl, der Ajatollah der Partei, der Macho-Mobber – alles vergessen und vorbei?

Offene Wunden kann man sich in der Politik nicht erlauben, schon gar nicht bei den Grünen. Die Wunden leckt man und lässt sie heilen.

Und sind sie geheilt?

Mit Münster haben die Grünen einen neuen Abschnitt in ihrer Parteigeschichte begonnen. Ich bin überzeugt davon, dass wir jetzt einen grünen Aufbruch erleben werden. Persönliche Befindlichkeiten sind da nebensächlich.

In Münster ist die innere Machtfrage geklärt worden. Atomausstieg, Parteireform, Vorstandswahlen – zum ersten Mal auf einem Parteitag haben sich die Realos in allen wichtigen Fragen durchgesetzt. Sind die Grünen jetzt da, wo Sie sie hin haben wollten?

Wenn sie da wären, wo ich sie hin haben wollte, würden wir wieder Wahlen gewinnen.

Ihre Partei hat bei 15 Wahlen hintereinander nur Verluste gemacht.

Und die nächsten Wahlen werden noch härter. Aber diesen Abwärtstrend werden wir brechen.

Das sagt sich so einfach.

Ich weiß selbst, dass die Bedingungen für die Grünen alles andere als einfach sind. Vieles von dem, wofür diese Partei gegründet wurde, ist erfolgreich abgearbeitet worden oder hat sich einfach überlebt. Insofern ist der Kompromiss beim Atomausstieg mehr als nur eine Sachentscheidung – er symbolisiert den Abschluss eines ganzen Kapitels im Leben unserer Partei.

Wodurch wurde dieses Kapitel geprägt – und was ist heute anders?

Ich will es mal in die ökonomische Sprache der „Generation Golf“ übersetzen: Die Grünen wurden gegründet unter den Bedingungen eines monopolisierten, geschlossenen politischen Marktes der alten Bundesrepublik West. Vieles von dem, was damals in der Gesellschaft kein Gehör fand, drückte sich in sozialem Protest aus. Den haben die Grünen parlamentarisch aufgenommen – genauso, im Übrigen, wie die taz, die damals ebenfalls gegründet wurde. Heute haben wir einen offenen Markt, es herrschen ganz andere „Wettbewerbsbedingungen“. Da gibt es nicht mehr die Exklusivität von Mainstream auf der einen und Subkulturen auf der anderen Seite. Jede annähernd erfolgreiche Idee wird sofort von allen aufgegriffen. Dagegen kommt man nicht mehr an, indem man einfach das Protestbanner hochzieht. Wer versucht, sich durch Ultraradikalismus abzusetzen und fünf Mark für einen Liter Benzin verlangt, marginalisiert sich selbst und wird politikunfähig. Unter diesen Bedingungen, soziale und ökologische Reformpolitik fortzuentwickeln, in Teilen neu zu entwerfen, die Grünen also quasi neu zu erfinden – das ist unsere Aufgabe als Partei heute.

Wie macht man das: eine Partei neu erfinden? Sie können den ganzen alten Krempel doch nicht einfach irgendwo abladen und von vorn anfangen.

Natürlich nicht. Das ist genau wie mit den Zäsuren im Leben: Sie bleiben stets derselbe und müssen sich doch immer wieder verändern und erneuern. Die Grünen müssen sich neu erfinden, ohne sich selbst dabei zu verlieren.

So ganz nebenbei sind die Grünen ja noch in der Regierung. Ist da eine Neuerfindung der Partei nicht wie eine Operation am offenen Herzen?

Aber nein. Eine Reformpartei, die zur Erneuerung unfähig ist, gefährdet sich selbst. Allerdings macht es die Regierungsbeteiligung für uns schwieriger. Wir müssen in der Regierung kühl, professionell und pragmatisch handeln, aber als Partei müssen wir mit dem Herzen dabei sein, wir müssen die Menschen begeistern, meinetwegen auch empören. Das kommt bei uns mittlerweile viel zu kurz. Wir denken zu wenig daran, wie wir die Menschen mobilisieren können.

Was meinen Sie mit Mobilisierung? Das klingt sehr abstrakt.

Es macht mich unglaublich wütend, wenn ich die Zeitungen lese, dass in unserem Land fast jeden Tag mörderische Anschläge auf Ausländer, Fremde oder andersfarbige Menschen stattfinden. Ein Kampfhund, der kleine Kinder totbeißt, da muss gehandelt werden, keine Frage. Aber das Vieh weiß nicht, was es tut. Rechtsradikale oder Nazis, die kleinen Mädchen Brandsätze ins Schlafzimmer werfen – die wissen, was sie tun. Da müsste der Aufschrei in der Bevölkerung mindestens genauso groß sein wie bei den Kampfhunden. Das ist aber nicht so. Also ist das ein Thema für die Grünen, da müssen wir politisch handeln, müssen Kampagnen starten und unsere Fähigkeit zur Mobilisierung wiedergewinnen.

Für den gesellschaftlichen Protest, den Sie fordern, gibt es aber kaum noch zeitgemäße Ausdrucksformen. Sie können demonstrieren, und das war’s dann auch schon.

Mir fällt da vieles ein, was ich jetzt im Interview nicht erzählen möchte. Erfreulich ist für mich vor allem, dass die Debatte darüber bei den Grünen wieder beginnt. Wir diskutieren endlich nicht mehr nur über uns selbst.

Sie sprechen von einer Neuerfindung der Grünen. Andere bei ihnen reden davon, dass die Grünen ihre Erfolge nur besser vermarkten müssten. Haben Ihre Parteifreunde den Ernst der Lage kapiert?

Ich denke schon. Die Grünen haben kein Marketingproblem. Wir haben ein politisches Problem. Dieses ganze ganze Marketing-Gehusche der Möllemänner ist nichts für uns. Damit soll sich ruhig die FDP beschäftigen. Für solche Albernheiten braucht man keine grüne Partei.

Sondern? Wofür?

Alle reden jetzt über New Market, Gott sei Dank. Alle diskutieren über die Start-up-Unternehmen, zum Glück. Alle schauen auf die Internet-Ökonomie, wunderbar. Aber in den USA und in anderen Ländern geht mit solchen Entwicklungen immer eine sich selbst organisierende, zum Teil sogar recht widerborstige Zivilgesellschaft einher. In den USA geht es beim Internet nicht nur ums Geschäft, so wichtig das ist, es geht nicht nur um die Arbeitsplätze, so wichtig die sind. Es geht auch um die Frage der informationellen Selbstbestimmung, um die Frage des Rechts auf Privatheit im Netz. Ein kluger Amerikaner hat vor kurzem gesagt, dass Deutschland eine entwickelte, stabile Demokratie ist – aber eine Demokratie mit einem Defizit an zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation, an zivilgesellschaftlichem Lobbyismus.

Und dafür sollen jetzt die Grünen zuständig sein?

Ein großes Öl- und Gasunternehmen der USA wollte in den Neunzigerjahren eine Pipeline durch Afghanistan legen. Die Firma hatte sich schon mit den Taliban geeinigt und ist am Ende trotzdem gescheitert. Wissen Sie, woran? An der Lobbyarbeit eines feministischen Netzwerkes in den USA, via Internet. Die Feministinnen waren nicht bereit, einen Pakt mit Afghanistan zu akzeptieren, wegen der dortigen Unterdrückung von Frauen und Mädchen. Die IT-Gesellschaft bietet viel mehr Möglichkeiten als bloß Geschäfte.Wir müssen die zivilgesellschaftliche Selbstorganisation in den Vordergrund unserer Neudefinition grüner Politik stellen.

Das klingt ja fast wie back to the roots?

Das ist kein back to the roots. Das ist urdemokratisch, nur lässt sich das heute nicht mehr in der Gestalt von Mutlangen oder Brokdorf umsetzen. Ende der 70er-Jahre habe ich das Antiquariat der Karl-Marx-Buchhandlung in Frankfurt aufgebaut. Das war mein „Start-up-Unternehmen“, und es war ökonomisch sogar erfolgreich. Das können Sie jedoch mit den heutigen Start-ups nicht vergleichen, diese Erfahrung können Sie nicht eins zu eins auf die heutigen Verhältnisse übertragen. Aber an diese Erfahrungen müssen sich die Grünen wieder erinnern. Wir besitzen da ein Schatzkästchen.

Darin liegt welcher Schatz verborgen?

Der Schatz unserer alternativen Erfahrungen, unserer ganzen Ansätze der gesellschaftlichen Selbstorganisation. Aber leider liegt das Schatzkästchen irgendwo in der Ecke und verstaubt. Wir müssen das wieder rausholen und für heute nutzbar machen. Mein politischer Instinkt sagt mir, dass darin eine Riesenchance für die Grünen liegt. Im Grunde genommen denken in Deutschland doch alle noch sehr stark in den vorgegebenen etatistischen Bahnen oder neoliberal à la Guido Westerwelle.

Beim Außenminister Joschka Fischer kommt plötzlich wieder der Sponti durch.

Wäre vielleicht gar nicht schlecht. Aber ich war von meinem Gesellschaftsbild her schon immer mehr ein Alternativer als ein Grüner.

Lassen Sie uns ein paar Einwände gegen Ihre Neudefinition grüner Politik vorbringen. Erster Einwand: Die Deutschen interessiert zuallererst immer der wirtschaftliche Erfolg. Der Aktienboom ist ihnen wichtig, nicht die Zivilgesellschaft.

Das bestreite ich schlicht und einfach. Ich sehe da keinen Widerspruch. Eine Aktie bringt eben keine Sinnstiftung. Außerdem: Wenn Sie die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als größte soziale Herausforderung betrachten, dann kommen Sie an mehr zivilgesellschaftlichem Engagement gar nicht mehr vorbei.

Wie das?

Die USA haben es vorgemacht: Die Arbeitsplätze entstehen heute im Wesentlichen in kleineren und mittleren Unternehmen und nicht in den großen Firmen; die bauen Arbeitsplätze eher ab. Gerade diese Kultur der kleinen und mittleren Unternehmen führt automatisach dazu, dass sich die Leute daran gewöhnen, die Dinge sehr viel stärker in Eigenverantwortung als Zivilgesellschaft zu übernehmen.

Zweiter Einwand: Ihr Thema zivilgesellschaftliches Engagement klingt schön und gut. Aber daraus lässt sich kein politisches Kapital schlagen. Damit gewinnen die Grünen keine Wahlen.

Das sehe ich anders. Es wird zum Beispiel immer mehr Menschen empören, in einer Gesellschaft zu leben, in der fast täglich rassistische Mordanschläge passieren, und sie werden etwas dagegen unternehmen. Die Offenheit unserer Gesellschaft wird im 21. Jahrhundert über unsere wirtschaftliche Zukunft mit entscheiden. Bei einer Reise nach Indien wurde für mich offensichtlich, dass diese Offenheit vor allem eine kulturelle Frage ist und nicht zuerst eine ökonomische.

Was haben Sie in Indien erlebt?

Ich habe in Bangalore mit jungen Software-Ingenieuren diskutiert. Bei der Frage, ob sie nach Deutschland kommen würden, ging es nicht etwa nur ums Geld, im Gegenteil. Andere Dinge waren ihnen viel wichtiger: Sind wir in Deutschland überhaupt erwünscht? Warum werden so oft Ausländer überfallen? Können wir mit unserer Familie kommen, und Familie heißt in Indien immer Großfamilie? Was haben wir für Fortbildungsmöglichkeiten? Wie ist das mit der Sprache? Mit dem Essen? Es ging also um die Frage, wie tolerant und offen Deutschland ist.

Dritter Einwand: Sie setzen darauf, dass viele Grüne aus einem alternativen Umfeld und aus Bürgerbewegungen kommen. Aber diese Grünen haben gar keinen persönlichen oder biografischen Draht zu jungen Leuten. Das sind deren Sozialkundelehrer oder Eltern, von denen wollen die Jungen nichts hören.

Die Älteren werden sich ändern müssen, ganz einfach. Der Jugend gehört die Zukunft. Ob man das gut findet oder nicht, danach fragt der Generationenwechsel nicht. Der Sozialkundelehrer kann ja seinen selbst gestrickten Pullover anbehalten, aber er muss aus ihm kräftig den Staub rausklopfen. Das wäre das Schlimmste, was unser Partei passieren kann: wenn sie die Neugier verliert, die Lust auf das Neue und auf die Veränderung.

Um heute ein grünes Plädoyer für Neugierde, Offenheit und Eigeninitiative zu hören, muss man ins alte Reichsbankgebäude, in das Büro des Außenministers, kommen. Warum hört man so etwas nicht auch in den grünen Ortsvereinen, an der Basis der Partei?

Weil unsere Partei im Moment ein großes Problem der Umorientierung hat. Der Übergang von der Protest- zur Regierungspartei, von der Subkultur hinein in die gesellschaftliche Mitte, die neuen internationalen Herausforderungen, die Veränderungen der bundesdeutschen Gesellschaft, die biografischen Probleme unsere Mitglieder – all das kommt jetzt zusammen und stellt an die Grünen große Anforderungen. Denen müssen wir uns jetzt stellen.

Sie wirken so aufgeräumt. Bei Ihnen klingt das, als gäbe es nichts Schöneres als eine grüne Krise, die zu lösen ist.

Ich finde Herausforderungen spannend. Der einfache, immer gleiche Lauf der Dinge ist langweilig, und ich hasse nichts mehr als Langeweile.

Sonst klingen die Grünen immer so verbiestert. Die jungen Leute können diesen Ton schon nicht mehr ertragen.

Ich verstehe das ja, aber umgekehrt geht es mir mit jungen Leuten manchmal genauso. Vorige Woche habe ich mit Vertretern der „Generation Golf“ diskutiert. Die redeten immer nur von Spaß und Fun. Da habe ich ihnen von früher erzählt, wie Opa vom Krieg. In den 70er-Jahren in meiner Sponti-Zeit hatte ich vielleicht mehr Spaß als die „Generation Golf“ heute.

Ist Opa gut angekommen?

Keine Ahnung. Mir ist nicht ganz klar, was die „Generation Golf“ eigentlich will. Die sind Mitte zwanzig, wirken aber oft schon so alt. Ich glaube, die sind neben Karriere, Spaß und Fun auf der verzweifelten Suche nach irgendeinem Sinn in ihrem Leben.

Die Grünen sind nicht gerade das Sinnbild für Spaß, sondern eher für den erhobenen Zeigefinger.

Von diesem Eindruck müssen wir weg. Nehmen Sie die Ökologie. Ich bin der festen Überzeugung, dass dem Thema die Zukunft gehört. Schauen Sie sich die Wachstumszahlen dieser Welt an, gucken Sie zum Beispiel nach China: Die Ökologie wird mehr und mehr die Außen- und Sicherheitspolitik des 21. Jahrhunderts bestimmen. Aber die Grünen müssen Ökologie neu deklinieren. Das ist nur noch selten ein Protestthema. Wir müssen weg vom Nein, hin zur Gestaltung. Man muss die Mitte der Gesellschaft dafür gewinnen – das ist die heutige Aufgabe.

Hat Rezzo Schlauch deswegen das Gute am Auto entdeckt und es als Mittel der Emanzipation beschrieben?

Bei dieser Debatte ist mir die Hutschnur hochgegangen.

Warum? Weil Sie nie ein Problem mit dem Auto hatten?

Ich bitte Sie. Ich habe fünf Jahre als Taxifahrer mein Geld verdient. Glauben Sie, Joschka Fischer hatte jemals ein emotionales Problem mit dem Auto?

Vermutlich nicht.

Wir Grünen müssen die Bedürfnisse der Menschen nach Mobilität ernst nehmen, auch die Freiheitsbedürfnisse, die sie mit dem Auto verbinden. Und auf der andern Seite müssen wir auf Vernunft bei der Mobilitätsplanung setzen, auf Verkehrsvermeidung, auf die Stärkung von Verkehrsalternativen. Deswegen war ich schon für ICE-Strecken, als bei den Grünen in Hessen noch alle dagegen waren. Leute, wofür sind wir eigentlich, habe ich gefragt. Wofür – nicht wogegen.

Der grüne Aufschrei gegen Schlauchs Auto-Papier zeigt, wie schwer der Partei der Abschied von alten Feindbildern fällt.

An der Auto-Debatte hat mich am meisten gestört, dass wir sie wieder einmal mit uns selbst geführt haben. Daran leide ich in dieser Partei wirklich. Wir müssen die Debatte mit der Gesellschaft führen. Wir müssen auf berechtigte Anliegen, auch wenn sie uns manchmal etwas fremd erscheinen, eingehen. Wir müssen für unsere Forderungen Mehrheiten finden, Bündnispartner in der Wirtschaft gewinnen, bei den Verbrauchern. Und schon sind wir wieder bei der Zivilgesellschaft.

Sehen Sie gar kein Glaubwürdigkeitsproblem? Da kommt Fischer, der Außenminister, der Oberrealo, der Meister des rot-grünen Kompromisses, der seiner Partei immer vorgehalten hat, sie sei nicht regierungsfähig, und predigt plötzlich die zivilgesellschaftliche Selbstorganisation.

Das gehört in meiner Vorstellung von unserer grünen Partei untrennbar zusammen. Wissen Sie, wie mein Traum von der grünen Partei aussieht?

Jetzt träumen Sie auch noch.

Die Grünen als eine Mischung aus Neugier und Kreativität auf der einen sowie Effizienz und Professionalität auf der anderen Seite. Übrigens: Alles, was ich jetzt über die Grünen erzählt habe, können Sie auch auf die taz übertragen. Ihr habt die gleichen Probleme wie wir.

Retten Sie uns!

Alle sind für die Nato, die Grünen waren dagegen – das ist vorbei, das kommt nie wieder. Auch die taz hat ihre exklusive Stellung verloren. Ihr steht, wie wir, in einem ganz harten Wettbewerb. Das, worüber früher nur die taz geschrieben hat, finde ich heute auch in der Welt. Sogar die FAZ ist voll von alternativen journalistischen Elementen.

Wir stellen uns dieser neuen Konkurrenz.

Jetzt reden Sie bereits wie unsereins. Aber die taz bräuchte dafür, wie die Grünen, eine Mischung aus Kreativität und Professionalität. Im Moment ist die Zeitung allerdings eine Mischung aus inhaltlicher Beliebigkeit und falscher Traditionspflege. Diese Bemerkung erlaube ich mir als jemand, der die taz seit der ersten Ausgabe liest.

Zurück zu den Grünen. Renate Künast und Fritz Kuhn versuchen seit zwei Monaten den Neuanfang, den Sie fordern. Sind Sie denn zufrieden mit den beiden Parteivorsitzenden?

Ich bin nicht dazu da, unsere neuen Bundesvorsitzenden öffentlich zu benoten. Im Übrigen sollte man auch ihnen die ersten hundert Tage Schonfrist einräumen.

Befürchten Sie bei der grünen Neuorientierung keine Konflikte mit der SPD? Wie wollen Sie das umsetzen, ohne Schröder auf die Zehen zu treten?

Wer immer einen Schritt voraus ist, der tritt niemandem auf die Zehen.

Viele wissen nicht mehr, warum es die Grünen eigentlich noch gibt. Wird die Partei diese Sinnfrage in Zukunft wieder beantworten können?

Wir dürfen uns nicht verengen. Nehmen Sie den Generationenkonflikt. So wichtig Rentenformeln sind – wir müssen die Frage der Alterssicherung als eine Frage nach der Gesellschaft von morgen diskutieren: Kinder, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, gesellschaftliche Werte, unsere Ressourcen. Dann ergibt sich die Sinnfrage fast von selbst.

Das ist schon alles?

Die Sinnfrage der Partei ist außerdem eine Erfolgsfrage. Es ist ein Missverständnis, zu meinen, dass es sich bei Parteien um Glaubenskongregationen handelt. Sie sind keine religiösen Gemeinschaften. Demokratische Parteien bilden sich, um politischen Erfolg zu haben.

Aber kein Erfolg ohne Inhalte. Sonst sitzen Sie plötzlich da wie Tony Blair.

Eben. Sie brauchen beides: Erfolg und Inhalt. Man kann den Grünen sicherlich vieles vorwerfen, aber nicht, dass sie verzichtbar sind. Die Bundesrepublik braucht die Grünen, Europa auch.

Die SPD steht für Gerechtigkeit, die Union für Ordnung, die FDP für Freiheit. Wofür stehen die Grünen?

Für Demokratie und Ökologie. Und für Freiheit und Gerechtigkeit. Freiheit ist ein urgrünes Thema. Wir wehren uns nur immer dagegen, diese Tradition explizit bei uns anzusiedeln. Das halte ich für falsch. Auch darüber sollten wir nachdenken.

Typisch für Ihre Biografie ist, dass Sie stets neue Rollen ausprobiert haben. Was kommt nach der Rolle „Joschka Fischer, der Grünen-Retter“?

Ich bin nicht der Retter der Grünen. Die Rolle liegt mir nicht.

Zittate:

ZUM THEMA RECHTSRADIKALISMUS:Das ist ein Thema für die Grünen, da müssen wir politisch handeln und unsere Fähigkeit zur Mobilisierung wiedergewinnen

ÜBER DIE GENERATION GOLF:Die sind Mitte zwanzig, wirken aber oft schon so alt. Ich glaube, die sind auf der verzweifelten Suche nach irgendeinem Sinn im Leben