„Mein Ziel ist die Vielfalt“

■ Der brasilianische Songschreiber Chico César über Rhythmus, Tanz und die Landlosen

Mit wem ist er nicht schon alles verglichen worden. Die Größen des Tropicalismo werden bemüht, um Chico Césars rhythmische Finessen und sprachliche Feinheiten zu umschreiben. Auch auf seinem vierten Album, Mama Mundi, bietet der kleine quirlige Musiker mit dem auffälligen Bühnenoutfit ein breites musikalisches Spektrum aus seiner brasilianischen Heimat und integriert stilistische Einflüsse aus aller Welt.

taz hamburg: In Ihrer Musik verwenden Sie viele fremde Elemente, was sie Ihrer Meinung nach macht dennoch so unverwechselbar brasilianisch?

Chico César: Die Musik Brasiliens ist ja immer eine Mischung aus verschiedenen Teilen, ganz so, wie die brasilianische Gesellschaft strukturiert ist. Ich meine die ethnische Vielfalt afrikanischer, europäischer und indianischer Elemente. Man findet dasselbe Phänomen auch in den USA, wo sich das dann in den Rhythmen des Jazz oder im Blues ausdrückt. Bei uns in Brasilien ist es die Samba oder die Bossa Nova. Was meine Musik betrifft, nun, sie ist deshalb brasilianisch, weil ich die Existenz des Brasilianers als etwas Positives empfinde und weitergeben möchte.

Als Meister raffinierter Wortspiele sind Sie vor allem in Ihrer Heimat populär. Fürchten Sie nicht, dass diese von den meisten Ihrer Hörer gar nicht verstanden werden können?

Um dieses Hindernis zu umgehen, hätte ich eigentlich nur einen Ausweg, nämlich in Englisch zu singen. Das ist aber nicht meine Absicht. Mein Ziel ist es vielmehr, Vielfalt anzubieten, keine Einheitlichkeit. Ich finde, dass durch die Dominanz des Englischen die Musik weitgehend uniformiert wirkt. Aber das Publikum außerhalb Brasiliens erwartet etwas anderes von mir, keine Schablonen.

Sie haben einmal von der „Diktatur des Rhythmus“ gesprochen - was genau verstehen Sie darunter?

Die heutige Schwierigkeit der Leute, mit Worten umzugehen, mit gesprochenen und gesungenen Worten, ist eine Verarmung. Als wir vor drei Jahren auf unserer Europatournee nach den Konzerten essen gingen, erklang überall laute Technomusik. Duff, duff, duff, dazu kann man nicht essen. Man kann auch keinen Gedankengang entwickeln hinter einem Karnevalswagen in Bahia. Das Vermächtnis der afrikanischen und der brasilianischen Musik auf den Tanz zu reduzieren, wäre zu wenig. Was alle als erstes verstehen, ist der Rhythmus, alle Welt lässt sich vom Groove der Samba stimulieren, aber es ist nicht einfach, ein in portugiesisch gesungenes Lied zu hören. Wer wird versuchen zu verstehen, was da gesungen wird, selbst in Brasilien?

Wird man Ihnen gerecht, wenn man Sie als Intellektuellen beschreibt, der trotzdem versucht, eingängige Songs zu schreiben?

Die Einfachheit gehört zur Natur des populären Songs. Ein guter Song gibt einem das Gefühl, das man ihn schon kennt. Es gibt Musiker, denen es leicht fällt, solche Songs zu schreiben, Paul McCartney etwa. Dieser Wiedererkennungseffekt ist die Voraussetzung eines populären Liedes, der eine sofortige Identifikation durch den Hörer bewirken kann. Das führt mitunter zum Missbrauch, zu einigen Formeln der Wiederholung. Manchmal hat man Glück und es gelingt einem ein Stück, in dem das Element der Wiederholung versteckt bleibt hinter der Architektur. Es erzeugt trotzdem die Identifikation beim Hörer, aber mit einer Frische, als hätte man das Stück gerade eben komponiert. Ich glaube, das sind die guten Stücke im Sinne der Songtradition.

Sie stammen aus Paraíba, einer eher ärmeren Region im Nordosten Brasiliens. Wie hat Ihre Herkunft Einfluss auf Ihre Kompositionen?

Der Einfluss ist natürlich aufgrund der Erfahrungen, die ich im Landesinneren machen konnte, sehr groß. Mit Marktsängern und Folkloresängern aufgewachsen zu sein, hat mir erst die Basis als Musiker geschaffen. Auch das Radio spielt in der Provinz eine enorm wichtige Rolle, man hört dort ganz anders als etwa in Rio oder Sao Paulo, weil es oft das einzige Kommunikationsmittel mit der zivilisierten Welt ist. Brasilien ist ein Land mit vielen Widersprüchen. Dieser Widerspruch zwischen dem Archaischen und dem Modernen, die Tatsache, dass es bei uns einerseits noch unentdeckte Stämme gibt, andererseits hoch entwickelte Finanzzentren, all dies ist die Grundlage für das Denken der Brasilianer. In uns also, besonders in den Künstlern, die aus dem Nordosten kommen, sind diese Widersprüche stets präsent. Es ist eigentlich natürlich und nicht erst seit heute so in der brasilianischen Musik, dass diese verschiedenen Elemente sich gegenseitig bereichern.

Ist in Ihrem Video zu dem Stück „É só pensar em você“ eine Referenz an die Armen in Brasilien zu sehen?

Die Menschen in dem Video sind von der Landlosenbewegung. Es sind 1200 Familien; sie kampierten an einer Straßenmündung irgendwo im Hinterland von Sao Paulo. Dieses Camp existiert schon nicht mehr. Als wir den Videoclip gedreht haben, waren sie bereits von der Räumung bedroht, die mittlerweile auch stattgefunden hat. Ich hatte schon seit einem Jahr den Wunsch, in einem Lager der Landlosenbewegung ein Video zu machen. Als jetzt die Plattenfirma dieses Stück ausgewählt hatte, dachte ich, warum soll ich nicht den Begriff der Liebe ausdehnen, also die Liebe von zwei Menschen in eine universelle Brüderlichkeit umdeuten? Merkwürdig, die Leute erwarten, weil es ein Liebeslied ist, ein Videoclip mit einem Model, mit sinnlichen Personen, so als wäre es eine Reklame für ein Shampoo. Und das ist doch sehr eng gedacht, wenn man sieht, welche Reichweite ein Liebeslied haben kann. Der Videoclip kommt in einem Moment, in dem die Landlosenbewegung einer Serie von Aggressionen ausgesetzt ist. Man will die Bewegung dämonisieren. Die Regierung stellt sie so dar, als wäre sie eine Bedrohung des privaten Eigentums. Ich denke die Funktion des Videos ist es, den jungen Leuten, die einen Fernseher haben und ein Dach über dem Kopf, zu zeigen, dass es Leute gibt, die nichts von alledem haben, nicht einmal eine Wohnung. Was sie tun, ist legitim. Das Video ist kein Protestvideo, eher ein Dokumentarvideo.

Interview: Tom Fuchs und Manfred Müller

Freitag, 21 Uhr, Fabrik