Grace under pressure

Würdevolles Kleinkriminellentum in den Meanstreets St. Paulis: Roland Klicks Supermarkt Von Olaf Tarmas

„Wir haben Supermarkt nach einem Konzept gedreht, dass wir vom ersten bis zum letzten Tag durchgehalten haben.“ An die Dreharbeiten mit Roland Klick und Kameramann Jost Vacano erinnert sich Georg von Kieseritzky gerne. Er war zuständig „für das, was man heute Produktionsdesign nennt“: Ausstattung und Location. Man verstand sich intuitiv, hatte die gleiche Vorstellung von dem Film, der entstehen sollte: eine raue Großstadt-Ballade über einen Underdog, der versucht, sich in einem harten Milieu durchzuschlagen, und am Ende scheitert. Es sollte richtiges Kino sein, packend, schnörkellos und meilenweit jenseits dessen, was 1973 unter dem Stichwort „Autorenkino“ an intellektuell geprägten Geschichten auf den Leinwänden zu sehen war. „Diese Art von Film war uns zu selbstbespiegelnd, zu inzestuös“, erzählt Kieseritzky, der am liebsten für Regisseure arbeitete, die „viel Realität von der Straße in ihre Filme hereinholen“. Das visuelle Konzept von Supermarkt war stark vom film noir beeinflusst, vor allem aber von den jungen amerikanischen Independent-Regisseuren, die Anfang der Siebziger ihre ers-ten Filme machten, allen voran Martin Scorsese. „Wir wollten Neonlicht, nasse Strassen, Schatten, Gegenlicht“, zählt Kieseritzky die Zutaten des Großstadtfilms auf, die zwar auch damals nicht neu waren, aber nur selten zu Kinofilmen verarbeitet wurden.

Klick gelang es, seinen amerikanisch anmutenden Stoff in eine deutsche Großstadt, nach Hamburg, zu verpflanzen. Alles ist in Supermarkt zunächst eine Nummer kleiner und schäbiger als man es aus Mean Streets oder Dog Day Afternoon kennt, sowohl die Gesetzesverstöße als auch die Fluchtgedanken. Willi, der Außenseiter-Held, ist noch nicht volljährig, hält sich mit kleinen Diebstählen über Wasser und fängt an zu rennen, sobald er einen Polizeiwagen sieht. Unschlüssig und sprunghaft, gerät er an eine Reihe von vermeintlichen Helfern, die ihn vor den Karren ihrer eigenen Interessen spannen. Nicht selten sind sie auf der Suche nach „dem wahren Leben“, das sie bei einer bedrängten Exis-tenz wie Willi vermuten, oder möchten sich das Verdienst einer geglückten „Resozialisierung“ ans Revers heften. Doch der jugendliche Underdog erweist sich als renitent; er bewahrt seine Würde, auch wenn die Momente der Selbstbehauptung und des Stolzes letzten Endes immer quer zu seinen eigenen Interessen liegen. Grace under pressure nannte Hemingway diese Haltung. Am Ende schraubt sich Willy mit jeder Fluchtbewegung tiefer in seine Misere, bis nur der große Coup ihn noch retten kann.

Roland Klick besetzte seine Hauptrolle mit dem Laiendarsteller Charly Wierzejewski, dessen Präsenz durchaus über das hinausgeht, was beflissene Unterschichts-Darsteller (wie heute Jürgen Vogel) vermögen. Meistens erlebt man ihn gesenkten Blicks, wortkarg oder mit kurzen, alltäglich scheinenden Statements – so wie ohnehin nur wenig erklärt, aber vieles gezeigt wird in Klicks Film.

Das Andeuten von Situationen mit Hilfe von unauffälligen, aber präzise platzierten Details ist auch das Credo von Georg von Kieseritzky bei der Ausstattung und der Suche nach Drehorten von Supermarkt gewesen. Er wird am kommenden Sonntag im B-Movie zu Gast sein und darüber berichten, wie mit niedrigen Decken, hartem Licht von oben und engen Straßenfluchten eine bedrängende Atmosphäre generiert werden sollte. Auch der Frage, welche Rolle eigentlich St.Pauli bei der Konzeption von „Supermarkt“ gespielt hat, wird man an diesem Abend nachgehen können. Denn schließlich wird Klicks Film vom B-Movie als der letzte einer dem Stadtteil gewidmeten Reihe gezeigt.

heute, 29. + 30. Juli, 20.30 Uhr, B-Movie, am 30. Juli in Anwesenheit von Georg von Kieseritzky