Nackensteak in Jogis Grill

■ Der FC St. Pauli trainiert ab morgen in Trappenkamp. Die taz besuchte vorab die Idylle

Die Einsamkeit einer beschaulichen Forstidylle. Oder besser noch: Ein Dorf am äußeren Rand der bewohnbaren Welt. Hochleistungssportler lieben die Überschaubarkeit eines verträumten Nestes, in dem der Hund begraben liegt und die Kirche – im wahrsten Sinne – noch im Dorf steht. Man könne ungestört arbeiten und sich auf das Wesentliche, sprich Fußball, konzentrieren, betont dieser Tage etwa Dietmar Demuth, Coach des FC St. Pauli, im Vorfeld des morgen in Trappenkamp beginnenden einwöchigen Trainingslagers. Wenn der 45-Jährige da mal nicht irrt. Die taz besuchte die 6000-Seelengemeinde, zehn Kilometer vor den Toren Bad Segebergs, und musste feststellen: Auch im schleswig-holsteinischen Nirgendwo wird es dem Zweitligisten an nichts fehlen. Sogar profane Gelegenheiten, sich zwischen und vor allem nach den Trainingseinheiten zu vergnügen, sind in Trappenkamp vielfältig.

Da wäre zum Beispiel die zu jeder Zeit gut besuchte und erholsame Bierinsel, wo die Tür auch für Fußballprofessionelle stets offen steht, die Toiletten sauber sind und das 0,4 Liter vom Fass familiäre 4,20 Mark kostet. Auch in kulinarischer Hinsicht kann man sich in Trappenkamp so richtig verwöhnen lassen: In unmittelbarer Nachbarschaft, nur etwa 200 Meter vom Mannschaftsquartier gleich neben Aldi gelegen, freut sich bereits Jörg Knorr auf einen Besuch der Kicker vom Kiez in Jogis Grill. „Meine Pommes sind die besten im Ort“, versichert der Imbissbesitzer. Currywurst und Nackensteak zu fairen Preisen würden die hungrigen Prominenten samt ihrer Anhänger außerdem satt und zufrieden machen. In der Vergangenheit hätten bereits zahlreiche Kicker bei ihm reingeschaut. Einmal, erzählt Knorr, die komplette bulgarische Nationalmannschaft. „Um drei Uhr morgens waren die voll wie zehn Russen. Dann habe ich Taxis gerufen.“

Vom örtlichen Blumenhändler, der täglich frisches Grün ins Hotel liefert, bis zum einzigen Sportgeschäft profitierten in den vergangenen Jahren viele Läden von der regelmäßigen Stippvisite in- und ausländischer Fußballteams, die im Wald Quartier bezogen. Blättert man im Gästebuch des Hotels, so findet sich neben solch renommierten Namen, wie Bayer 04 Leverkusen, Hamburger SV oder ZSKA Sofia, auch der FC St. Pauli eingetragen. 1987 logierten Ippig, Demuth und Co. schon einmal im Segeberger Forst. Mit Erfolg: „Nach einer Woche Training bei uns hat es prompt mit dem Aufstieg in die ers-te Liga geklappt“, erinnert sich Hoteleigentümer Mokthar Charrad, ohne zu vergessen, einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem größten Vereinstriumph und der Vorbereitung in seiner Unterkunft zu betonen.

Neben optimalen Trainings- und Regenerationsmöglichkeiten besticht die Herberge durch ihre „gekonnte Gastlichkeit im Restaurant und an der Bar“, wie in einer Hochglanzbroschüre versprochen wird. Insbesondere der dreimal in der Woche angebotene Tanzabend dürfte dem ein oder anderen St. Paulianer die nötige Lockerheit im Abstiegskampf der bevorstehenden Spielzeit verleihen.

Interessante und vor allem vom runden Leder einmal ablenkende Teamausflüge in das nahgelegene Freigehege zu Rot-, Dam- und Muffelwild oder gar zu den Karl-May-Festspielen nach Bad Segeberg, wo täglich Der Ölprinz in Szene gesetzt wird (Gruppenpreis ab 21 Personen: 17 Mark pro Kopf), runden das reichhaltige Unterhaltungsprogramm so richtig ab.

Dem Millerntor-Club, der sich im Rahmen früherer Trainingslager des öfteren skandalträchtig präsentierte, steht allem Anschein nach eine harmonisch-schweißtreibende Woche bevor. Denn wir erinnern uns an den Betriebsausflug ins andalusische Chiclana, als vor vier Jahren nicht nur der damalige Trainer Uli Maslo herrische Schimpftiraden gegen das Hotelpersonal losließ, sondern obendrein der völlig besoffene Carsten Pröpper die Palmen im Foyer der Unterbringung bewässerte. Die Wahl des Trainingsortes fiel in diesem Jahr daher nicht grundlos auf Trappenkamp: Palmen wachsen bekanntlich nicht im Wald. Oliver Lück