Cultural Politics

Mondo culturale 3: Stuart Halls dritter Band im Hamburger Argument-Verlag  ■ Von Vassilis Tsianos

Seit Anfang der 90er-Jahre hat sich das Label Cultural Studies relativ beliebig verbreitet. Ursprünglich bezeichnete der Begriff Ansätze aus dem englischsprachigen Raum, die glauben, nicht allein eine Umwälzung der ökonomischen Verhältnisse, sondern auch eine der kulturellen könne zur Abschaffung von Herrschaftsverhältnissen beitragen, seien sie klassenbedingt, rassistisch oder sexistisch. Als Cultural Studies gelten aber inzwischen alle möglichen Spielarten der Kultur-, Sprach- und Sozialwissenschaften.

Für Deutschland lässt sich ein Hype erst seit 1999 feststellen. Da nämlich erschienen der von Jan Engelmans Reader Die kleinen Unterschiede und der unter anderen von Roger Bromley herausgegebene Band Cultural Studies, beide als Einführung in das Thema konzipiert. Dort finden sich unterschiedliche Versionen der Entstehungsgeschichte der Studies und ihrer zögerlichen Rezeptionsgeschichte in der Bundesrepublik. Abzulesen ist dort allerdings kaum mehr, als dass die Autoren ruhigen Gewissens in emphatisch-manifestartige Gemeinplätze verfallen. Ein solcher ist das mürrische Klagen über eine ausbleibende akademische Verankerung hierzulande, die mit dem obskuren Wunsch nach einer eigenständigen „deutschen“ Cultural Studies-Auslegung einhergeht. Es reicht ein nur flüchtiger Blick auf die Publikationen, um festzustellen, dass sich dort ein Verlust von politischer Interventionsfähigkeit abzeichnet.

Es gibt jedoch einen langjährigen Versuch, die Cultural Studies in Deutschland bekannt zu machen, der ihre ursprüngliche Ausrichtung auf politische Eingriffe ernst nimmt. Dabei handelt es sich um die Publikationsstrategie des Hamburger Argument Verlags seit Mitte der 70er-Jahre. Die Arbeiten um die Zeitschrift Das Argument und später die Veröffentlichungen des Verlages sorgten für einen Theorietransfer, der in unmittelbarer Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Cultural Studies in Großbritannien stattfand.

Auch das mit dem Namen Wolfgang Fritz Haug verbundene „Projekt Ideologietheorie“ entstand im kritischen Dialog mit der „kulturalistischen Herausforderung“ der Ideologiearbeiten des Birminghamer Centre for Contemporary Cultural Studies, dem Stuart Hall vorstand. Und es mündete in eine Reihe von Arbeiten, die wichtige Impulse für eine Analyse des Rassismus in Almanja lieferte, die sich nicht mit eindimensionalen Erklärungen zufrieden gibt. Cultural Studies. Ein politisches Theorieprojekt heißt folgerichtig der letzte Teil einer dreibändigen Argument-Ausgabe der Schriften Stuart Halls, übersetzt und dieses Frühjahr herausgegeben von Nora Räthzel, Mitgründerin des Instituts für Migration und Rassismusforschung in Hamburg.

Stuart Hall gilt als der bekannteste Promoter der Cultural Studies. Thematisch widmet sich der dritte Band dem Weg hin zu ihrer akademischen Institutionalisierung und den Gefahren einer damit einhergehenden Entpolitisierung. Die Auswahl der Texte, die einer Festschrift zu Halls Emeritierung entnommen sind, verrät die Absicht der Herausgeberin, an die oben beschriebene Strategie des Verlags anzuknüpfen.

Besonders interessant ist Halls Abrechnung mit der Erfolgsstory des Begriffs Postmoderne, der Moderne der Straße, wie er sie nennt, in dem Aufsatz „Postmoderne und Artikulation“. Hall positioniert sich in dieser Debatte als Gefangener zwischen zwei für ihn inakzeptablen Alternativen: „Habermas' defensiver Position in Bezug auf das alte Aufklärungsprojekt und Lyotards eurozentristische Lobpreisung des postmodernen Zusammenbruchs. Und selten hat man wie hier den Genuss, einer so plausiblen Kritik von Foucaults Macht-Wissens-Analyse beizuwohnen. Halls Interesse ist es, in der Debatte Ideologie versus Diskurs den Begriff des Widerstands zu retten.

In dem Aufsatz „Was ist 'schwarz' an der populären schwarzen Kultur“ distanziert er sich von der einst von ihm selbst verfochtenen These, „hybride Subjekte“, Menschen, die „zwischen mehreren Kulturen“ leben, könnten in besonderer Weise subversiv handeln, denn sie seien nicht erblindet an den Selbstverständlichkeiten einer einzelnen Kultur. Statt dessen verweist er nun darauf, dass die Erfahrung von Differenzen allein noch nicht zum Aufbegehren führe.

Eine Schwäche auch seiner theoretischen Entwicklung lässt sich an dem Interview „Cultural Studies und die Politik der Internationalisierung“ ablesen. Der Frage, wa-rum Klassenfragen in den Cultural Studies immer weniger Berücksichtigung fänden, weicht er dort aus. Allen Aufsätzen gemeinsam ist Halls Versuch, den politisch orientierten Strang der Cultural Studies zu stärken, um den Turn zu den Cultural Politics zu betreiben. Gerade weil es ihm nicht gelingt, ist das Buch dringend zu empfehlen.

Stuart Hall: Cultural Studies Ein politisches Theorieprojekt, Ausgewählte Schriften 3, Argument Verlag, Hamburg 2000, DM 29,80