die stimme der kritik
: betr.: Freizeit

Intelligent Outdooring und andere Trends

Vor acht Jahren erschien der „Popcorn Report“, ein so genannter Trendbericht, der nach dem Nachnamen seiner Herausgeberin benannt ist. Einer der Trends, die Faith Popcorn damals in der Gesellschaft ausgemacht hatte, war cocooning: Man ging Anfang der 90er-Jahre nämlich plötzlich nicht mehr so viel aus, sondern bestellte sich eine Pizza per Telefon und kuschelte sich zu Hause – im Kokon, also – mit einem schönen Glas Pepsi Light und einem Partner seiner Wahl gemütlich aufs Sofa.

Dieser Trend wird im „neuen Popcorn Report“, der soeben erschienen ist, umdefiniert: Man bleibt heute nicht mehr zu Hause, weil es dort so gemütlich ist, weiß Faith Popcorn, sondern „weil man aus Angst vor Verbrechen händeringend nach einem sicheren, ungefährlichen Ort sucht“. Und wenn man dann doch einmal aus dem Haus geht, dann „nur mit Sorgfalt und Umsicht“ – also gut informiert. Entlang dieses neuen Ausgehverhaltens, das wir an dieser Stelle einmal intelligent outdooring nennen wollen, haben sich bereits eine ganze Reihe von Dienstleistungsunternehmen etabliert. Sie sind logischerweise vor allem im Internet zu erreichen, einem Medium, dass – fragen Sie Frau Popcorn! – wichtiger werden wird als das Fernsehen.

Eines der avanciertesten Angebote ist sicherlich das von „Vivity – Die Freizeitauskunft“. Unter www.vivity.de findet man neuerdings ein „Freizeit-Suchnetz an, das keine Stadt in Deutschland unerforscht lässt“. Selbst Berlin nicht! Die Stadt „brummt“, weiß Vivity, und „die Freizeitangebote sind unermesslich“. Gibt man Berlin in die „Freizeit-Suchmaschine“ ein, bekommt man deshalb auch gleich zwei Freizeittipps. Erstens ein Besuch im Bundestag – „Sie werden sich wundern, was dort ellenlang diskutiert wird.“ Und zweitens eine Fahrt mit einer „Cabrio-U-Bahn“: „Mit 35 km/h geht’s nachts durch die Berliner U-Bahn-Schächte.“ 35 km/h! Nachts!

Wahnsinn. Da muss man natürlich unbedingt mal wieder aus dem Haus gehen. Man wohnt ja schließlich nicht umsonst in Berlin. Zuerst setzt man sich in den Bundestag, dann in die U-Bahn. Und dann dreht man durch. Und zu Hause liest man dann noch einmal Faith Popcorn, und erst jetzt, mit Vivity und Berlin vor der Tür, versteht man das neue cocooning wirklich: „Um trotz dieser ständigen Nervenbelastung nicht verrückt zu werden, ziehen wir uns tagtäglich in neue psychische und emotionale Kokons zurück.“KOLJA MENSING