Metropole am grünen Tisch

Berlin ist die Stadt der Planwerke: Außer dem Masterplan für die Innenstadt gibt es weitere Plänefür den Westraum, den Südostraum, den Nordraum und auch für die Airports Tegel und Tempelhof

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

„Planwerke“, sagt Julian Wekel, Leiter der Abteilung Stadtplanung und Gestaltung in der Senatsbauverwaltung, „sollen Angebote zur Information und Diskussion an alle sein, die an der städtebaulichen Entwicklung Berlins interessiert sind.“ Darüber hinaus, definiert Wekel, bedeuteten die großen Pläne „informelle Planung“, die für aktuelle und längerfristige Entwicklungen der Stadt, ihrer Bezirke und im Umland Konzepte erarbeite. Planwerke sind also Folien einer zukünftigen Raumentwicklung: offen und diskursiv, dynamisch und flexibel.

Dennoch scheiden sich beim Stichwort Masterplan in der Stadt die Geister. Seit das umstrittene „Planwerk zur Verdichtung der Innenstadt“ das bauliche Leitbild Berlins vorgibt, herrscht Gezänk über Sinn und Unsinn solcher Generalvorhaben.

Grund für den Streit ist nach Meinung der Kritiker der „dogmatische Charakter des Planwerks Innenstadt“, so der Stadtsoziologe Werner Sewing. Wurde doch der besagte Masterplan 1999 vom Senat „als Entwicklungsplanung beschlossen und ist als überbezirkliche Vorgabe bei der städtebaulichen Entwicklung zu berücksichtigen“ (Wekel). Von Offenheit und Diskussion, Dynamik oder Flexibilität, so die Kritiker, sei keine Rede mehr.

Natürlich gehören Planwerke, neben Flächennutzungsplänen, zum gängigen Instrumentarium einer Bauverwaltung. Besonders in Berlin, das nach dem Fall der Mauer in besonderer Weise Veränderungen, demografischem Wandel, Stadtflucht, industriellem Niedergang sowie gewerblichem Ansiedlungsdruck ausgesetzt ist, bieten sie Steuerungsmittel zukünftiger Perspektiven und Gestaltung.

Fragwürdig bleiben die Planwerke oder Szenarien räumlicher Entwicklung dann, wenn sie, wie im Falle des Masterplans zur Innenstadt, zu starr anmuten. Das Konzept des Senatsbaudirektors Hans Stimmann überzieht die Innenstadt nicht allein mit einem strengen, für die Bezirke verbindlichen Schema baulicher Rekonstruktion. Es lässt auch wenig Spielraum für Alternativen. Finden sich etwa für geplante städtische Bereiche keine Investoren oder wandeln sich räumliche und soziale Funktionen, blockiert die eindimensionale Utopie des Masterplans andere relevante Ansprüche an die Stadtentwicklung.

Zugleich konstituiert der Umgang mit großen Plänen diese als Zukunftsvisionen ohne doppelten Boden. Mehr virtuelles Spiel im politischen Geschäft als konkrete Perspektiven bilden etwa zwei aktuelle Großplanungen: So legte Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) einen Monat vor der letzten Wahl zum Abgeordnetenhaus zwei Pläne zur Nachnutzung der Flughäfen in Tegel und Tempelhof vor. Die Absicht war klar: Ein „Park der Luftbrücke“ in Tempelhof sowie Grün-, Wohn- und Arbeitsflächen für Tegel sollten den Gestaltungswillen des Senators demonstrieren und Stimmen am politisch grünen Rand ergattern.

Das Konzept für Tempelhof selbst bildet dabei kaum mehr als eine schnell hingeworfene Idee ohne Bestand, die weder mit dem Bezirk noch anderen Verwaltungen abgestimmt war. Die Mitte des Flugfeldes gestalteten die Planer zu einem öffentlichen „Wiesenmeer“. An den Rändern wuchsen in Neukölln und entlang der Hasenheide Wohnbauten, am südlichen Rand entstanden Gewerbebauten mit „gläsernen Fabriken“ und Hochhäuser, die sich bis zum Tempelhofer Damm hinzogen.

Doch dem Projekt fehlen die politischen und finanziellen Koordinaten der Umsetzung. Weder ist bis dato klar, ob nach dem Ausbau Schönefelds zum Single-Airport die innerstädtischen Flughäfen 2007 geschlossen werden können. Noch gibt es derzeit in Berlin den Bedarf für zusätzliche groß angelegte Wohn- und Dienstleistungsquartiere. Im Gegenteil: Strieders Kabinettskollege, Wirtschaftssenator Wolfgang Branoner (CDU) und Wirtschaftsverbände machen sich stark für die Offenhaltung Tempelhofs und Tegels als Geschäftsflughäfen.

Dennoch hat das Land mit dem „Handling“ vorsorglicher Flächengestaltung oder Konzepten für Potenziale der Stadtentwicklung gelernt. Das „Planwerk Westraum“ etwa legt – außer bei der kompakten Vorstellung für 4.000 Wohnungen auf dem Flugfeld in Tegel – seinen besonderen Schwerpunkt auf die schrittweise Zentrenentwicklung in Spandau. Außerdem wird der Bezirk in die Arbeitsprozesse mit einbezogen, und die Ansiedlungschancen werden immer wieder neu bewertet.

Beim „Planwerk Südostraum“ hat ein ähnlicher Umdenkungsprozess eingesetzt. Statt der früheren Quasigeneralplanung wie beim „Regelwerk Südostachse“ für Neubauten entlang der Strecke Adlergestell oder den New Towns für Johannisthal konzentriert sich das „Planwerk Südostraum“ jetzt auf „Teilbereiche“: die Verbesserung der vorhandenen Landschaftsräume, Entwicklungsgebiete in der Nähe zum Airport in Schönefeld, auf Oberschöneweide und den Wissenschaftsstandort Adlershof. „Hier setzt das Planwerk an, um die Veränderungsdynamik und die natürlichen Reichtümer in den Dienst einer gemeinsamen Vorstellung von der Zukunft des Stadtraums zu stellen. Dabei geht es weniger um Visionen als um praktische und handhabbare Arbeitspakete“ mit dem Bezirk und privaten Investoren, erklärt Dagmar Bucholz, Sprecherin der Bauverwaltung.

Schwerpunkte des „Planwerks Südostraum“ bilden heute in erster Linie die Umstrukturierung des 100 Jahre alten Industriestandorts Ober- und Niederschöneweide sowie die urbanen Zentren in Köpenick und Schöneweide. Erst an zweiter Stelle rangieren die Bauvorhaben im Zusammenhang mit der Entwicklung des Großflughafens Schönefeld, der nach seiner Eröffnung 25.000 Arbeitsplätze bringen soll. Von der Vision hat man sich also noch nicht gänzlich verabschiedet.

Das „Planwerk Nordostraum“ für die Bezirke Pankow und Weißensee sowie den großen Landschaftsraum des Barnim dagegen hat sich als Beispiel einer flexiblen Planung erwiesen. Galt der Nordostraum seit dem Fall der Mauer als das zukünftige Entwicklungsgebiet der Stadt für neue Wohn- und Arbeitsstätten für rund 25.000 Menschen, so musste Mitte der Neunzigerjahre nicht nur dieser Anspruch revidiert werden. Das Planwerk selbst hat als offenes diskursives Konzept mit dazu beigetragen, diese veränderte Situation umzusetzen. Statt fünf neuer Stadtquartiere verdichtete der Plan die Wohnbebauung auf zwei Siedlungen.

Zudem konzentrierten sich „die Zielvorstellungen“ der Planer und Experten aus der Bauverwaltung und den Bezirken immer deutlicher auf die Qualität der Stadtlandschaft aus Natur und peripherer Vorstadt. Julian Wekel: „Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass die Entwicklung nicht so dynamisch verläuft wie angenommen.“ Bis auf Karow-Nord und Bucholz-West seien die Planungen – wie etwa in Buchholz und Blankenburg – nicht umgesetzt worden. Stattdessen wurde der Naturraum als Regionalpark, der sich bis nach Brandenburg hineinzieht, ausgewiesen. Und mögliche Neubauten entwirft das Planwerk nur noch entlang der bestehenden Siedlungsachsen, beispielsweise von Niederschönhausen über Karow und Buch bis nach Zepernick.

Das „Planwerk Nordostraum“ erfüllt noch eine weitere Forderung Wekels an das Sujet: die der möglichen Veränderung statt der dogmatischen Überformung: Das Planwerk zeige Perspektiven, wie hier „die Stadt schrittweise weitergebaut werden kann, flexibel in der Form und Bebauung, aber immer bezogen auf das, was schon da ist: Das Gebaute und die Landschaft, das Alte, das Neue, die Stadt und die Landschaft sollen Schritt für Schritt eine harmonische Verbindung eingehen“, so der Stadtplaner.

Eine Forderung, die die anderen Masterpläne bisher so nicht oder nur zum Teil erfüllen.