Das Karussell im alten Dorf

„Jenseits von Mitte“, Teil 3: Gründe, nach Marzahn zu fahren. Hinter der alten Scheune des Vergnügungsbetriebs „Fröhlicher Bauernhof“ steht das einst beliebteste Kirmesfahrzeug der DDR
von KIRSTEN KÜPPERS

Marzahn verfügt über Attraktionen, von denen andere Bezirke nur träumen: Intellektuelle in Plattenbauten, vietnamesische Neujahrsfeste, ein japanisches Teehaus, russlandeutsche Tanzgruppen und ein Müller, der in seiner Mühle Hochzeitspaare aus dem ganzen Bundesgebiet traut. Die Bewohner Marzahns sind zufrieden.Wer sich noch mehr amüsieren will, geht in den „Fröhlichen Bauernhof“. Dort steht das begehrteste Karussell der DDR auf einem Gelände, das aus Marzahns ländlichen Zeiten übrig geblieben ist. Erst 1971 wurde das Dorf Marzahn mit dem Bau sozialistischer Plattenbauten zur Trabantenstadt erneuert.

Jetzt lockt der Fröhliche Bauernhof mit einem offenen Gartentor, hinter dem Lichterketten blinken, Kinder lachen und es nach Bratwurst riecht. Der kleine Vergnügungsbetrieb ist das Ende der Karriere des Mannes hinter dem Würstchenstand. Günter Beier ist Schausteller. Mit seinem Fuhrpark bereiste er früher die Volksfeste der DDR. Nach der Wende konnte er seine Angestellten nicht mehr bezahlen. Die Bank verweigerte ihm einen Millionenkredit. Übrig blieb nur der Rückzug ins Winterquartier auf den Bauernhof in Marzahn. Dort drängt sich nun sein Kirmesgerät. Das Schmuckstück wartet versteckt hinter der Scheune. Die majestätische Walzerbahn aus den 40er-Jahren nennt Günter Beier „die Mutter aller Fahrgeschäfte“ und seine „große Liebe“. Der Standort scheint zu klein und vergessen für das große, glamouröse Fahrzeug. Das Gras ist hoch gewachsen. Der Garten des Nachbarn wuchert über den Zaun. Im Hintergrund ragt ein Hochhaus. Das schöne, karussellartige Vehikel heißt „Tornado“. Die Seitenwände sind mit Schnörkeln verziert. Ein Schild mahnt feierlich: „Das Rauchen bitte einstellen!“ Bei der turbulenten Fahrt leuchten unzählige kleine Birnen von der gestreiften Dachplane auf kreiselnde Wagen herab und spiegeln sich in deren Silberapplikationen.

Die Fahrgäste werden kreischend durcheinander geschüttelt, die Haare fliegen, und nach einer rasanten Runde klettern gestandene Frauen aufgekratzt wie junge Mädchen aus ihren Wagen heraus. Ein dicker Mann, der bei Beier eine Gurke kauft, wirft ein „Die Fahrt mit der Walzerbahn ist absolute Spitze“ herüber. Günter Beier lächelt still. Den „Tornado“ habe man früher „Treffpunkt der Jugend“ genannt. Die Mädchen kamen und in deren Schlepptau alle Jungs der Subkultur. Er selbst hatte immer Ärger mit der Stasi. Weil er den „Tornado“ nur mit Westmusik bespielte. Anfang 89 wollte man ihm dann den Fahrbetrieb verbieten. Beier reichte eine Staatsratsbeschwerde ein und durfte weitermachen.

Eine Fahrt auf der Walzerbahn kostet heute zwei Mark. Ab fünf Fahrgästen schmeißt Beier den „Tornado“ an. Manchmal auch bei weniger. Es reicht gerade so zum Überleben, das überausgestattete Ausflugslokal von Beier: Vor der Scheune ist der Hof voll gepackt mit Kirmesfahrzeugen, Blumenkübeln und Gartenstühlen aus weißem Plastik. Zwischen elektrischen Kinderschaukelpferden und dem Grill steht eine Losbude ohne Nieten. Ein Junge befingert ein Stoffhuhn, das er gewinnen möchte. Unter der Pergola lässt eine Gruppe über 50-Jähriger eine Weinprobe auf sich wirken. Eine Besucherin trägt ein Dirndl. Auf den Bistrotischen liegen Salzbrezeln. Es ist voll. Verhangene Sonntagnachmittage lassen sich in Gesellschaft besser bewältigen.

Zum fröhlichen Bauernhof, Alt-Marzahn 22, 12685 Berlin, Dienstag bis Samstag ab 14 Uhr, Sonntag ab 10 Uhr

Hinweis:Der große, neue Vergnügungsbetrieb ist das Ende des Mannes hinter dem Würstchenstand