Steilpass mit Doppelpass

Mit einer neuen Ausländerbegrenzung in den Jugendmannschaften der Proficlubs will der DFB von der Saison 2001/2002 an den deutschen Fußball-Nachwuchs wieder salonfähig machen

von OLIVER LÜCK

Plötzlich wurde unwiderlegbar, was sowieso schon jeder geahnt hatte: Vorrunden-Knock-out der deutschen Nationalmannschaft bei der diesjährigen Fußball-Europameisterschaft. Deutschland am Boden. Deutschland zu alt. Ende der Fahnenstange. Doch der Mast ist noch nicht abgebrochen, glauben zumindest die Offiziellen des Deutschen Fußball-Bundes. Geht es nach den DFB-Herren, kann Deutschland sogar wieder hoffen, spätestens bei der Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land eine wettbewerbstaugliche Elf auf den Rasen zu schicken – und dies nicht nur wegen des versöhnlichen dritten Platzes bei der U-18-EM.

In Sorge angesichts der jahrelang nicht stattfindenden Rekrutierung für das A-Nationalteam, wurde im Hauptquartier des DFB bereits vor dem EM-Debakel nach Lösungen für eine verbesserte Förderung deutscher Talente gegrübelt. Denn: „Im Vergleich mit den modernen Ausbildungsmöglichkeiten wie in England oder Frankreich leben wir in der Steinzeit“, setzt DFB-Jugend-Sekretär Bernd Barutta zur verbalen Grätsche an.

Damit bald alles besser wird, präsentiert der DFB reformierte Regeln: Mit Beginn der Saison 2001/2002 wird nicht nur ein Jugendleistungszentrum für jeden der 36 deutschen Erst- und Zweitligisten zur Lizenzauflage, auch eine Ausländerklausel für den Nachwuchsbereich soll die Ausbildungsmalaise beheben helfen. In den auf 22 Akteure aufgestockten A-, B- und C-Jugendteams der Proficlubs müssen jeweils mindestens zwölf Spieler einen weinroten Pass mit güldenem Bundesadler vorlegen können. Nur noch zehn ausländische Jugendliche sind dann erlaubt. Deshalb, so hätten es die DFB-Gewaltigen gerne, sollen die Vereine ihre Spielerkader vor Saisonauftakt schriftlich zu melden haben. „Das ist keine Regelung gegen Ausländer“, beteuert Barutta, „sondern für eine intensivere Förderung deutscher Talente.“

Ein Debakel für Clubs mit traditionell hohem Ausländeranteil, etwa beim Zweitligisten FC St. Pauli? Dort sieht man den Bestrebungen aus Frankfurt gelassen entgegen. „Das wird bei uns keine Auswirkungen haben“, erläutert Ingeburg Schnell, Leiterin der Jugendgeschäftsstelle. Zwar trügen nicht wenige Jugendspieler ausländische Namen, nichtsdestotrotz sei das Gros aber in Deutschland geboren und besäße zwei Staatsangehörigkeiten. Der Verein könne die geforderte Auflage daher problemlos erfüllen: Rund zwei Drittel der Jugendlichen haben deutsche Papiere. Einem Einsatz im Dress des Millerntor-Clubs stünde daher ebenso wenig im Wege wie der Option, einen Steilpass als deutscher Nationalspieler zu erlaufen.

Vereine wie der FC St. Pauli stehen aber ohnehin nicht im Fadenkreuz der DFB-Pläne. Barutta leugnet nicht, dass ihm das Transfergebaren der betuchteren Clubs ein Dorn im Auge sei. Schalke 04, Werder Bremen, aber auch Borussia Mönchengladbach importieren nicht selten 15-jährige Perspektivkräfte – vornehmlich aus Afrika oder Osteuropa – in die vereinseigenen Internate. „Diesem Trend muss entgegengewirkt werden“, hebt der Funktionär den Zeigefinger. Denn nur wenige dieser Teenager würden den Sprung in die Berufskickerei schaffen. Die harte Realität sähe in den meisten Fällen nur die Niederungen des Amateurfußballs vor. Oft nicht einmal das: Viele seien nach dem Scheitern ihrer Träume hier sogar zum Sozialfall geworden. Ausnahmen sind Razundara Tkjikuzu aus Namibia, der sich in Bremen einen Stammplatz erkämpft hat, der Dortmunder Ibrahim Tanko oder der Schalker Krisztian Szollar. Mit Inkrafttreten der Quotierung würden Weichen gestellt, ist Barutta überzeugt: „Die Clubs müssen in Sachen Transferpolitik nun umdenken.“

An der Spitze des deutschen Profitums gibt man sich unbeeindruckt. „Es hat 0,000 Prozent Folgen für unsere Ausbildungsphilosophie“, rechnet Michael Reschke, sportlicher Leiter der Nachwuchsabteilung von Bayer Leverkusen, vor. Am Mittelrhein würden die Verantwortlichen hauptsächlich auf frühzeitig an den Verein gebundene Jugendspieler aus dem Umland setzen. Als „wegweisenden Meilenstein“ sieht Reschke die ehrgeizigen DFB-Pläne aber dennoch. Manche Klubs würden nun schließlich zweimal überlegen, ob sie ihren Talentspähern eine Auslandsreise nicht besser ersparen.

„Zweifelsohne der richtige Weg“, glaubt auch Ralf Schehr, Jugendleiter des Hamburger SV, und spricht in erster Linie von „Vorbeugung“. In Zeiten, in denen insbesondere in England oder Italien zahlreiche ausländische Talente kurzerhand unter Vertrag genommen und ebenso schnell fallen gelassen würden, müsse der DFB die Handbremse anziehen, um derartige Zustände nicht auch hier zur Regel werden zu lassen. Also doch eine rigide Schutzvorkehrung, die einer Einfuhrsperre gleichkommt? Mitnichten, schließlich bliebe immer noch „hinreichend Freiraum“ für den Import, erläutert Schehr. Ferner sei keine nummerische Einschränkung für Ausländer in der Mannschaftsaufstellung vorgesehen. „Wenn es sich also um absolute Kracher handelt“, garantiert der Hamburger, „werden nicht nur wir auch weiterhin Jugendspieler aus dem Ausland verpflichten.“