Ende der Schonzeit in Jugoslawien

Mit der Festlegung des Wahltermins gerät die Opposition unter Zugzwang. Deren Vertreter haben sich zumindest auf gemeinsame Listen geeinigt. Nur der serbische Erneuerer Vuk Drasković tanzt aus der Reihe und will die Wahlen boykottieren

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Die Schonzeit in Serbien ist vorbei und die skrupellose Jagd auf die Wähler hat begonnen. Für den 24. September sind Wahlen für den jugoslawischen Bundespräsidenten, die beiden Kammern des Bundesparlaments und die kommunalen Vertretungen in Serbien festgelegt.

Sowohl für den jugoslawischen Präsidenten, Slobodan Milošević, und sein Regime, als auch für die serbische Opposition geht es um Sein oder Nichtsein. Gleichzeitig steht das Fortbestehen der Bundesrepublik Jugoslawien auf dem Spiel, denn die prowestlich orientierte montenegrinische Regierung hat einen Wahlboykott angekündigt.

„Die Föderation zwischen Serbien und Montenegro existiert nicht mehr, die politische Räuberei Belgrads hat sie zerstört. Was hätte es auch für einen Sinn, dass Montenegro an Bundeswahlen teilnimmt, die die internationale Gemeinschaft nicht anerkennen wird, weil in Serbien als Kriegsverbrecher angeklagte Personen kandidieren“, erklärte Miodrag Vuković, Berater des montenegrinischen Präsidenten.

Natürlich hat Milošević den für ihn passenden Zeitpunkt und die Bedingungen für die Wahlen bestimmt, die seine Herrschaft erneut legalisieren sollen. Doch auch die serbische Opposition hat jetzt, nach langer Zeit der Desorientierung und Tatenlosigkeit zumindest wieder ein klares Ziel vor Augen und eine Chance die Bürger aus der Apathie zu reißen, um vielleicht doch noch eine Wende herbeizuführen.

„Die Opposition ist wieder unter Zugzwang. Wir müssen an den Wahlen teilnehmen und den Wahlbetrug, den Milošević ganz sicher vorbereitet, in Kauf nehmen oder ihm kampflos alles übergeben“, erklärte Nenad Canak, Vorsitzender der sozialdemokratischen Liga der Wojwodina. Mit großem Einsatz könne die Opposition die unfairen und undemokratischen Wahlbedingungen erfolgreich parieren.

Nach der Verfassungsreform soll der jugoslawische Präsident erstmals direkt vom Volk gewählt werden. Damit wird Milošević ermöglicht, sein Mandat, das 2001 abläuft, zu verlängern. Die serbische Nachrichtenagentur Beta meldete jedoch, dass laut Umfragen Vojislav Kostunica, Vorsitzender der „Demokratischen Partei Serbiens“ derzeit Slobodan Milošević mit 42 gegen 28 Prozent klar schlagen würde – allerdings nur, falls ihn die gesamte Opposition unterstützt.

„Gemeinsam könnten wir endlich dieses Übel loswerden. Wenn wir jedoch uneins bleiben, wird es weder uns noch diesen Staat länger geben. Ich glaube, dass niemand diese historische Verantwortung auf sich nehmen kann“, sagte Kostunica.

Alle relevanten Oppositionsparteien in Serbien und der Wojwodina haben sich auf gemeinsame Wahllisten geeinigt. Mit Ausnahme der Serbischen Erneuerungsbewegung (SPO). Deren Chef Vuk Drasković setzt sich „unter dem herrschenden Terror und der Gesetzlosigkeit“ für einen Wahlboykott ein. Was die demokratischen Kräfte für eine andere Alternative hätten, ließ Drasković, der sich nach zwei missglückten Mordanschlägen aus „Sicherheitsgründen“ nicht in Serbien befindet, wieder im Dunkeln.

Die Stimmung ist explosiv. Das Regime und die Opposition stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die regierende serbische Koalition prangert alle ihre Gegner in Serbien und Montenegro als „Nato-Söldner“ an und gibt klar zu verstehen, dass man die „fünfte Kolonne“ mit allen Mitteln bekämpfen werde.

Nikola Sainović, hoher Funktionär der Milošević-Sozialisten, erklärte, dass man internationale Wahlbeobachter zwar einladen werde, aber „sicher nicht aus Nato-Staaten“, die im Vorjahr mit ihrer „Aggression“ Jugoslawien großen Schaden zugefügt hätten.