Musik im Zimmerpflanzenstil

■ Lumpi, der Kinoplakatmaler der Schauburg und EX-“12-Kappen-Wasser“-Sänger/Gitarrist, eröffnete vor zwei Monaten einen Laden für „Auftragsmalerei“, außerdem veröffentlicht er demnächst seine erste Electronica-CD

Heißen tut er Christian Irgendwas, nennt sich aber Lumpi, sowohl in der Öffentlichkeit wie in seiner Privatsphäre, so wie die versammelten Dackel aller Großtanten – merkwürdig. Auf den Kinoplakaten, die er seit zweieinhalb Jahren für „Schauburg“, „City“ und in einer besseren cineastischen Epoche für das – schluchz – dahingeschiedene „Europa“ malte, hat sich die Signatur längst zu „Lupi“ verschliffen – was in weisem Wankelmut zwischen Comicwitzfigur Lupo und Präzisionshilfe Lupe schwebt und Lumpis Ästhetik der kalkulierten Unentschiedenheit entgegenkommt. So heißen die Stücke seiner demnächst erscheinenden Solo-CD „Hausmeister“ etwa „Kenter“ (ein bisschen Schiffskentern und Einkaufszent-rum, vermanscht vielleicht noch mit Zentaur, Zentrum ...) oder „Buder“ – ein Hybrid aus Bruder und Ruder, oder etwa Schießbude? Ein Fan des Wortverballhorners und Hintersinnerforschers Arno Schmidt ist der Lump aber nicht.

Überhaupt ist Fantum nicht sein Ding, nicht in der Malerei, nicht in der Musik: „Massive Attack?, kenn ich nicht, ist das nicht TripHop“, sagt ein Mann, der immerhin selber der Electronica-Ecke zuzuschlagen ist. MTV oder VIVA? „Ne, nur das nicht.“ Dass ein von ihm selbst gebastelter Videoclip schon mal auf MTV lief, stört ihn aber natürlich nicht. Musikzeitschriften? „Alle halbe Jahre vielleicht mal SPEX oder DE:BUG.“ Auch Filme mag er nicht, der Kinoplakatmaler, und musste die drei letzten Versuche, einen Film von Anfang bis Ende durchzustehen, vorzeitig abbrechen – wegen Langeweile: zum Beispiel auch bei Kusturicas hochgerühmtem „Schwarzer Kater, weiße Katze“. Juliette Binoche? „Kenn ich nicht.“ Kultfilme wie „Fight Club“, „Matrix“ oder „American Beauty“ gehen ihm sowieso am Arsch vorbei: „Nichts Neues unter der Sonne“, lautet sein Bannspruch, dem immerhin ein gewisser Wagemut zugebilligt werden muss.

Diese glückselige Ignoranz – oder ist es Gelassenheit? – hat eine Vorgeschichte. Also schön brav von vorn: Schon in der neunten Klasse wusste Lumpi: Ich bin Maler und ich bin Musiker, damals in Wunstorf bei Hannover. „Ja dieses Wunstorf hatte eine sehr aufregende Musikszene.“ Und Lumpi surfte mit 14 Jahren mittendrin, auf der Neuen Deutschen Welle, mit einer Teenieband mit dem damals noch grundsoliden Namen „Herzlos“. Man verfertigte Texte mit einer gesunden Portion Sinngehalt; zum Beispiel einen über Klobrillen und Segelohren, womit – ganz klar – die Problematik jener armen Menschen gemeint war, die allein wegen ihres grässlichen Aussehens gehänselt werden – „oh Gott, was für ein Thema“. Umso unerbittlicher hasst Lumpi heute Geschwätzigkeit, besonders zeitgeistige a la deutschen HipHop. Gegen doppelbödige Texte wie bei „Tocotronic“ oder „Blumfeld“ hat er zwar keine Einwände. Aber im Allgemeinen hält er Worte für „überaus ungeeignete Ausdrucksvehikel“.

Gepinselt hat er schon „mit zwei Jahren – oder so.“ Also studierte er Kunst, erst in Kiel, dann in Bremen. Bei der Aufnahmeprüfung maulte ein Prof verächtlich: „Na, du bist ja auch so ein Gegenständler“. Deshalb malte Lumpi vorsichtshalber erst mal abstrakt; so lange, bis eine gewisse Skepsis in ihm erblühte gegenüber den Sprech- und Denkgewohnheiten der studentischen oder professoralen Akademieinsassen. Die Diskriminierung der Gegenständlichkeit fand er höchst verdächtig und Johannes Grützke und die anderen Maler der Neuen Prächtigkeit der 70er Jahre überzeugten ihn immer schon genauso gut wie Beuys. So cancelte er das Studium und schwenkte um zum Studium des Sozialwesens; was er nach fünf Jahren sanft entschlummern ließ. Teils war es wohl der Druck der anstehenden Schlussprüfungen, teils aber auch eine neu gewonnene Stärke: die einschlägigen Angstthemen wie Rentenvorsorge, bruchlose Erwerbsbiografie und Wie-sag-ich's-meinen-Eltern brachte er im Alter von 32 Jahren endgültig hinter sich, was die Rückkehr ermöglichte zum jugendlichen Wunsch des Künstlerdaseins ohne Netz und doppelten Boden. Und auch privat wurden in dieser Zeit gordische Knoten wacker auseinander gehauen.

Das war vor zwei Jahren und Lumpi konnte einigermaßen leben von der Plakatmalerei. Doch irgendwo steht, dass wir in einer dynamischen Welt leben: Deshalb wohl musste das Europakino schließen und das Junge Theater gab zur selben Zeit seine Heimat in der Friesenstraße auf. So eröffnete Lumpi im ehemaligen Büro des Jungen Theaters einen Laden. Ganz früher war da mal eine Bäckerei darin, woran die Bodenfliesen entlang einer imaginären, längst entsorgten Verkaufstheke heute noch erinnern. Zusammen mit alten Bastverzierungen im Schaufenster zeugen sie von Lumpis Amor-Fati-Lebenshaltung in Nietzschetradition: Die Dinge so nehmen, wie sie kommen.

„Auftragsarbeiten“ steht am Schaufenster – kein Profischild, sondern eine Zettelwirtschaft aus dem Copyshop. Schließlich ist das Ganze ein Provisorium, „ein Experiment“, und man wird erst noch abwarten müssen, ob es genug Leute gibt, die ein Gemälde von ihrer Lieblingsratte, Gartenlaube oder Geliebten für 400-700 Mark haben wollen. Der Sohn des Feuerwehrhauptmanns von Wache 1 wollte. Er bestellte ein Bild des Vaters vor brennender Wache zum 50. Geburtstag. Obwohl Lumpi nach Fotovorlage arbeitet, musste die Wache nicht mal extra angezündet werden. Feuer geht auch ohne Fotovorlage.

In einem Punkt ist Lumpi übrigens doch Fan. Er liebt es zu kommunizieren, und so entstand die Feuerwehrarbeit in engem Dialog mit dem Auftraggeber. Das Schaufenster-Wort „Auftragsarbeiten“ ist nicht nur die nüchterne Zustandsbeschreibung eines Lohnabhängigen, sondern auch Bekenntnis zur Kunst mit Gebrauchswert und leiser Affront gegen den hehren Konzeptkunst-Jargon, den er von den Kunsthochschulen kennt. Symptomatisch, dass ihm bei der Frage nach Lieblingsmalern, als erstes ein Comicmaler, Moebius, einfällt.

Für ein Kinoplakat verlangt Lumpi 300 Mark. Irgendwie haben er und die Schauburg es noch nicht hingekriegt die Dinger weiterzuverticken. Und so werden – um Materialkosten zu sparen – die Bilder übermalt, bis zu 40 Mal, so lange bis die Leinwand faltig und spröde ist wie das Gesicht von Clint Eastwood. Die Entstehung geht so vor sich: Lumpi schnappt sich ein Kinoplakat, schnipselt und klebt es bildgerecht zurecht, knipst ein Kleindia davon und projiziert das auf die Leinwand. Manche Leute rümpfen die Nase, wenn sie vom Übermalen von Projektionen hören. „Dabei ist das eine etablierte Technik der Kunstgeschichte. Andy Warhol tat es. Roy Lichtenstein tat es, Hellwein auch.“ Weil erstens die Projektion sehr unscharf ist, zweitens je mehr gemalt ist, desto weniger zu sehen ist und drittens Lumpi wie gesagt manche Topstars noch nie im Kino gesehen hat, ist die Ähnlichkeit nicht immer verblüffend. „Zugegeben, Jochim Krol ist schlecht geraten. Hannelore Elsner auch.“ Die kleineren Auftragsbilder dagegen sind präzise, manchmal bis zur Gnadenlosigkeit. Fiktive Operationen von Segelfliegerohren nimmt Lumpi nicht vor – vielleicht in Erinnerung an seinen alten „Herzlos-Text“ mit den Segelohren. Durch Pinselstrich, Gesichtsanschnitt und Hintergrund wird das spezielle Charisma einer Person sichtbar.

Das zweite neue Projekt lautet „Hausmeister“ und ist ein musikalisches. Nach Erfahrungen als Jazzrocker in der Tradition von Weather Report, als Sänger/Gitarrist in der „Männerrockband“ 12-Kappen-Wasser und als Sänger/Gitarrist der einstigen Bremer Kultband „Die Auch“, die in ihrer Verfrickeltheit als „Kunststudentenband“ bezeichnet wurde, „was wir natürlich scheiße fanden“, wollte Lumpi mal absolut auf sich gestellt Musik machen. Was da aus den Boxen blubbert, hört sich in seiner Entspanntheit an, als stünde die Ambient Music von Brian Eno dafür Pate. Lumpi aber behauptet, dass die wahren Wurzeln Supertramp, Queen, Steely Dan und Beach Boys heißen. Überhaupt Ober-Beach-Boy Brian Wilson. „Dieser wunderbar naive Umgang mit Emotionalität. Der ist viel zu gut für diese Welt.“ Die Idee von Ambient dagegen interessiert ihn nicht. „Musik als Möbel – welcher Unsinn. In meiner Musik soll mein Herzblut fließen. Dort spiegelt sich viel von meiner ganz persönlichen Situation wieder. Es geht um Freude und federleichte Melancholie. Ich finde es nicht gut, dieses Dementieren von Autorenschaft und Subjektivität, wie es im Electronica-Sektor jetzt modern zu sein scheint.“

Wie aber soll man das fragile Elektronikblubbern von „Hausmeister“ einordnen? „Keine Ahnung.“ Also nennen wir es hier behelfsweise den Keine-Ahnung-Stil. „Zimmerpflanzen-Stil wäre vielleicht auch ganz passend, denn diese Musik wuchs und gedieh in aller Abgeschiedenheit wie eine Zimmerpflanze.“ Eine gewisse Komplexität und die Abwesenheit von „bombastischem Bratzsound“ ist ihm dabei wichtig. Erscheinen wird „Hausmeister“ bei karaoke.kalk. „Kalk ist ein unangesagter Kölner Stadtteil am definitiv falschen Rheinufer und somit wohl ein sympathisches Bekenntnis zur Peripherie, Karaoke ist einfach Quatsch.“

Ach ja 1: Einen zeitgenössischen Musiker gibt es doch, der vor Lumpis Augen Gnade findet: „Alphex Twin, der schwebt über allem.“ Ach ja 2: Lumpi arbeitet zurzeit noch in einem dritten Projekt – eben eine multiple Persönlichkeit. Er ist der Bassist der Hamburger Band „GoPlus“, deren Texte er mit „Blumfeld“ verglichen sehen will.

bk

Lumpis Laden ist Ecke Friesen-/Gleimstraße. Tel. 494474